Es fällt bereits bei der gelungen Einleitung "Eine fehlt immer" auf, dass mit den Autorinnen Auffermann, Kübler, März und Schmitter geübte Literaten oder Essayistinnen am Werk waren. Bei der überraschenden Zusammenstellung von Autorinnen unterschiedlicher Genres handelt es sich um kurzweilige Aufsätze, wie man sie auch im Feuilletonteil einer guten Zeitung finden könnte. Das ist nicht verwunderlich, denn die freie Autorin Elke Schmittler war Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts Chefredakteurin bei der TAZ und schreibt Lyrik sowie Belletristik. Ursula März' Feder entstammt ebenso der journalistischen Schule. Sie ist heute Mitglied von Jurys namhafter Literaturpreise und selbst eine ausgezeichnete Literaturkritikerin. Die Germanistin Günhild Kübler arbeitet als Redakteurin bei der Schweizer Wochenzeitung und die Essayistin Verena Auffermann leitet die Jury der Leipziger Buchmesse. Es haben sich also vier Frauen zusammengetan, die mit beiden Beinen im literarischen Leben stehen und abseits vom Lehrwerksjargon Lust auf Literatur machen wollen.
In "Leidenschaften" stellen Sie 99 kulturgeschichtlich bedeutende Autorinnen vor, weil "deren Geschichte eine andere war und ist als die ihrer männlichen Kollegen". Sie fassen die Werdegänge jeder Einzelnen sowie besonders markante Momente in deren Biographie und Einflüsse auf deren Schaffen prägnant auf wenigen Seiten zusammen - ungeachtet der Gattungen und jenseits alle Diskussionen um ernsthafte oder Unterhaltungsliteratur Autorinnen jeglicher Nationalität und Genres wie J. K. Rowling, Johanna Spyri oder Hedwig Courths-Mahler gleichwertig neben Simon de Beauvour oder Margaret Atwood. Wie die Auswahl für das Buch von persönlichen Leidenschaften beeinflusst wurde, verleibt sich sicherlich auch jeder Leser die Portraits quer durch die Jahrhunderte nach dem persönlichen Interesse für die Autorinnen ein; doch wo immer man auch beginnt - schnell hat man sich festgelesen, schlägt die nächste Seite um und stößt garantiert auf interessante Entdeckungen wie z. B. Madame de Sevigne aus Frankreich oder Agota Kristof aus Ungarn.
Außerdem trifft man kürzlich veröffentlichte Bekannte wie die kanadische Alice Munro ("Tricks", Fischer, 2008) oder den Geheimtipp in Sachen Lyrik des 19. Jahrhunderts Emily Dickinson ("Gesammelte Werke", Hanser, 2006; übersetzt von Gunhild Kübler) wieder. Eine treffsichere Überschrift leitet dabei jedes Mal in die mehrseitigen Essays ein. Hintenan sind weitere biografische Angaben und Lesetipps gestellt. Dabei werden die Frauen so lebendig beschrieben, als hätten die Autorinnen diese tatsächlich gekannt. Wenn beispielsweise über die italienische Schriftstellerin Elsa Morante gesagt wird: "Sie brach fast alle Kontakte ab und erfreute sich nur noch an drei Dingen, die alle mit dem Buchstaben M beginnen: Mozart, das Meer und Mandarineneis.", vermag eine solche Beschreibung augenzwinkernd genau den Zustand einsamer Zurückgezogenheit zu treffen, der auch in weiteren biographischen Ausführungen nicht deutlicher zu Tage treten könnte. Selbst wenn man noch nie von Elsa Morante oder anderen der 99 Vertreterinnen der schreibenden Zunft gehört haben sollte, führt dieses Buch seine Leser schnell in die zeitgeschichtlichen Hintergründe sowie in die Hauptwerke und Hauptfiguren der Schriftstellerinnen ein. Ihre Darstellung mutet nicht wie die von Weltruhm erlangt habenden unerreichbaren Überfrauen, sondern wie die von guten Bekannten an und macht sowohl Lust auf deren literarisches Schaffen als auch Lust darauf, an anderer Stelle noch mehr über sie zu erfahren. So ist dieses Buch als Auftakt zu sehen: Hier darf man seelenruhig schmökern und neugierig werden.
Diese Frauen "haben uns fasziniert.", schreiben die vier Autorinnen in ihrer Einleitung; und diese Faszination überträgt sich zweifellos auf die Leser.
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