"Es ist zwar nicht Beckett ..."

(Benni, Stefano: Der schnellfüßige Achilles, BLT / Lübbe, 2006, ISBN: 3404923022)

Ulysses ist Lektor in einem kleinen Verlag, der sich mit unaufhaltsamen Schritten auf den Ruin zu bewegt. Rettung könnte ein erfolgreicher Roman bringen, den es jedoch unter der Unmenge von Einsendungen zahlreicher Möchtegernschrifsteller erst noch zu finden gilt. Während Ulysses also die Nächte mit Manuskripten verbringt, deren Autoren und Figuren ihn bis in die Träume sowie auch tagsüber verfolgen, fordert die aufreizende Sekretärin Circe beständig seine Treue heraus. Obendrein droht seiner bildhübschen Freundin Pilar Penelope die Abschiebung. In dieser Situation macht Ulysses die Bekanntschaft des schwer körperbehinderten und durch eine missglückte OP entstellten Achilles, welcher mit Ulysses' Hilfe ein Buch schreibt, das den Verlag retten wird.

So viel zum Inhalt des Romans des italienischen Schriftstellers und Kolumnisten Stefano Benni, der in "Der schnellfüßige Achilles" einen ironisch komischen Blick auf den Alltag eines Kleinverlages wirft. Der Autor hat sich in seinem Heimatland mit satirischen und politischen Texten einen Namen gemacht. Nach seinem Erstlingsroman "Terra" (1983) veröffentlichte er in den Folgejahren weitere fantastische Werke. Was jedoch diesen Roman abgesehen von seinem durchaus originellen und in der Realität der Gegenwart angesiedelten Plot lesenswert macht, ist vor allem die überschäumende Fantasie des Autors, sein Spiel mit Ideen, Ironie und Intertextualität. Das fängt bereits bei den Namen der drei Protagonisten an, welche allesamt nach Helden von griechischen Sagen benannt sind, deren Heldenstatus sich wiederum ironisch an der Realität bricht. So muss der Abenteurer Odysseus (Ulysses) seine um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten strippende, aber sonst absolut treue Penelope vor der Auswanderungsbehörde retten; während der beinahe unverwundbare Achilles tatsächlich ein an den Rollstuhl gefesselter Krüppel und nur in seiner Fantasie ein schnellfüßiger Held sein kann. Denkt man weiter, ergibt sich die Tatsache, dass Italos in einem latent fremdenfeindlichen Italien, welches tatsächlich von einem beständigen Flüchtlingsstrom aus Afrika heimgesucht wird, bei Benni nun von einer illegal eingewanderten Latinoschönheit gezeugt wird.

Doch kritisiert Benni auf den 260 Seiten nicht nur gesellschaftliche Phänomene wie Fremdenfeindlichkeit, menschlichen Wankelmut und den Drang zur Öffentlichkeit, sondern auch Politiker sowie Gesetzesvertreter, bei denen Korruption und Bestechung an der Tagesordnung sind. Dabei führt der allgegenwärtige Einfluss der Politik in "Der schnellfüßige Achilles" nicht zur Ausweisung von Pilar, sondern ironischerweise nur zur Publikation eines weniger guten Buches. Wortspiele wie "Skriptmanuse" statt Manuskripte oder die Verweigerung von Anglizismen, was beispielsweise zur Folge hat, dass die Protagonisten einen "Hahnenschwanz" statt einen Cocktail trinken, sind nur die Spitze des intellektuellen Spiels mit Wortbedeutungen sowie von metatheoretischen Ausflügen ins Schreiben. Mit Hilfe der Manuskripttexte und des skurrilen Buches, in welchem Achilles sein und Ulysses' Leben verfremdet darstellt, gelingt es Benni, verschiedenste Textgattungen miteinander zu verweben und Möglichkeiten literarischen Schreibens aufzuzeigen. Den durchaus philosophischen Betrachtungen über Leben, Tod, Liebe und Freundschaft wird dadurch eine komische Komponente hinzugefügt. Dieses Umschlagen ins Humorvolle bewahrt den Autor stets vor philosophierendem Geschwafel. Außerdem hat Benni in den Figuren selbst bereits eine breite Intertextualität angelegt. Der eine ist Lektor und Schriftsteller; der andere hat sich eine riesige Bibliothek einverleibt, um aus der Literatur das zu lernen, was das Leben ihm verwehrt hat. So findet man zum Beispiel eine vergleichende Anspielung auf Kafkas hässlichen Käfer in "Die Verwandlung".

Beeindruckend gelingt es dem Autor außerdem, Realität und Fiktion immer wieder verschmelzen zu lassen. Ulysses leidet an der "Bäckerkrankheit", welche ihn nachts wach hält und tagsüber immer wieder unvermittelt einschlafen und träumen lässt. Somit wird es dem Leser schwer gemacht, sich von der Geschichte einlullen zu lassen. Immer wieder befindet man sich unvermittelt an Punkten, an denen man sich fragt, ob Ulysses noch wach ist oder schon wieder träumt. Manchmal scheinen die Träume in ihrer Absurdität gar nicht so realitätsfern zu sein.

Die Sprache ist dabei so vielfältig wie die Textgattungen. Vor allem Achilles neigt zu einer derben Ausdrucksweise, insbesondere was die Sexualität betrifft. Er liebt es, mit seiner Ausdrucksweise zu verstören, um von seiner verstörenden Erscheinung abzulenken. Zum Schluss bleibt es dem Leser überlassen, ob man an einen Selbstmord oder Mord von Achilles glauben möchte. Doch ahnt man als Leser nun, was es bedeuten könnte, eine "unerträgliche Wahrheit" gesehen zu haben, die "sich in einem dunklen Winkel des Herzens festsetzt". Es gibt nicht viele zeitgenössische Autoren, die es ihren Lesern ermöglichen, gleichzeitig anspruchsvolle Literatur zu genießen, zu lachen und sich zudem unmerklich mit einem Text und seinen Anspielungen auf die eigene Welt auseinanderzusetzen. Oder um es mit den Worten von Achilles zu sagen: "Es ist zwar nicht Beckett, aber doch ein merkwürdiges Buch. Und vor allem ist es kurz."


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veröffentlicht auf buchwurm.info, 2008
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