Geteilter Kontinent – Geteiltes Herz (Claudia Tabbert: Aber mein Herz bleibt in Afrika, Knaur, S.255, ISBN 3426779188) Löwen, Elefanten, Zebras, weite Savanne – in diese Richtung gehen zunächst die Assoziationen, wenn man an Afrika denkt. Nur wenige Menschen haben bei dem Gedanken sofort Aids, Armut und die Folgen der Apartheid im Kopf. Doch in Claudia Tabberts eindrucksvoll geschilderter Biografie “Aber mein Herz bleibt in Afrika“, wird deutlich, dass Afrika für Menschen, die längere Zeit dort verbracht und mit den Einheimischen gelebt und gearbeitet haben, ein Kontinent bildet, der neben seinen Schätzen deutlich von Armut, Krankheit, Willkür und Gewalt geprägt ist. |
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Im Frühjahr 1995 liest Claudia Tabbert eine Stellenanzeige eines südafrikanischen Forschungsinstituts, mit dem eine Firma Mitarbeiter für klinische Studien rekrutiert, in denen neu entwickelte Medikamente auf ihre Wirksamkeit hin überprüft werden sollen. Die Apartheid ist gerade vorüber. Erste freie Wahlen haben stattgefunden und die Vergangenheit der Autorin als aufgewachsen in der ehemaligen DDR, in der man eine Verbundenheit zu Nelson Mandela und seinen Zielen praktizierte sowie Erinnerungen an einen Urlaub in Kapstadt, lassen sie mutig werden. Ihre Erfahrungen auf internationaler Ebene im Bereich klinischer Forschung geben den Ausschlag. Sie bewirbt sich und wird angenommen.
Bereits bei ihrer Ankunft in Johannesburg folgt die Ernüchterung der gespannten Erwartung des Aufbruchsmoments. Statt üppiger Vegetation und landschaftlicher Schönheit wie in Touristenregionen findet sie Blechhüttensiedlungen und Elend auf der einen Seite sowie Arroganz, Abschottung und Reichtum auf der anderen Seite vor. Diese Diskrepanz macht es Unternehmen wie Claudias neuem Arbeitgeber leicht, ausreichend Patienten für die von Pharmafirmen in Auftrag gegebenen Studien zu finden. Viele Kranke – Schwarze natürlich - können sich keine Medikamente leisten. Man nimmt sie in die Studien auf, durch die sie kostenlos behandelt werden können. Es ist eine stetige Gratwanderung zwischen den Risiken der Medizin und dem Wunsch zu Helfen. Doch diese Diskussion lässt Tabbert außen vor – vielleicht aus Verpflichtung ihrem Arbeitgeber gegenüber. Aber ihre warmherzigen und von Unbedarftheit, die täglich ernüchternden Begegnungen und Erfahrungen ausgesetzt wird, geprägten Schilderungen lassen auch ohne diese Diskussion den tiefen sozialen und kulturellen Graben erkennen, der diesen Kontinent durchzieht. In flüssigem gefälligem Schreibstil schildert sie ihre Zuneigung zu dem vierjährigen an Tuberkulose erkrankten Jungen Tillis, welcher sie wissen lässt, dass er sie gern als seine Mutter hätte. Solchermaßen unfreiwillig mit Verantwortung für das private Leben eines Patienten konfrontiert, verstrickt sich die Autorin noch weit stärker mit dem Schicksal der Einheimischen, als es ihre Professionalität als medizinische Betreuerin zulassen sollte. Dieser anhängliche, ängstlich-neugierige und offene kleine Junge zieht sie hinein in sein Schicksal, das beispielhaft für die meisten Kinder in den zu betreuenden Kliniken ist. Seine Mutter hat die Familie verlassen. Sie prostituiert sich, ist aber selbst an Aids erkrankt und damit dem Tod geweiht. Der Vater arbeitet, ist jedoch ein drogenabhängiger Trinker, der im Rausch auch gewalttätig wird. Die Kinder bleiben sich selbst überlassen. Tillis’ zwölfjährige Schwester lebt mit ihrem offenbar nicht wesentlich älteren Zuhälter ebenfalls in der schmuddeligen Blechhütte, die auch ihr Bruder und der Vater teilen - Alltag auf der anderen Seite des schützenden Zauns, der die komfortablen Siedlungen der Weißen umgibt. Die Autorin wertet kaum. Sie beschreibt recht nüchtern und lässt Emotionen überwiegend außen vor. Es wird dem Leser selbst überlassen, wie er sich angesichts ihrer Schilderungen und der dargestellten Situation in Afrika fühlt. Man kann als Leser aus einer gewissen Abgeklärtheit heraus, welche die Autorin erst am Ende des Buches erreicht, das ungläubige Staunen Claudias über jede neue erschreckende und abschreckende Entdeckung mitverfolgen. Es gelingt ihr, selbst aus rückblickender Position sehr sensibel zu schildern, wie sie jeden Tag ein klein wenig mehr von diesem sozialen Graben, der allgegenwärtigen Gewalt und ihrer Hilflosigkeit überwältigt zum Rückzug aus ihrem Traum von Afrika gezwungen wird. Ein Blick in den Spiegel offenbart: „Es ist mir so vertraut, dieses Gesicht, und doch irritiert es mich, denn etwas in ihm ist fremd. Ich habe mich verändert. Ich spüre es, auch wenn ich keine sichtbaren Zeichen dafür entdecke. Manchmal ist mir, als bewege ich mich langsamer, eine Spur nur, für andere kaum wahrnehmbar, aber doch langsamer. Eine Leichtigkeit, die mich immer begleitet hat, ist fort.“ So trifft sie nach einem Jahr die Entscheidung, nach Deutschland zurückzukehren. Doch kann sie nicht gehen, ohne dass sie Tillis in guten Händen weiß. Ein Samariterverhalten wie es heute bei gewissen Weltstarts üblich ist, kommt hier jedoch nicht zum Zuge. Der letzte von fünf Teilen des Buches zeigt den aufreibenden Kampf um den tatkräftigen Einsatz der staatlichen Behörden für Tillis Umzug in eine afrikanische Pflegefamilie, die es ihm ermöglichen kann, in seinem Land, in seiner Kultur aufzuwachsen und eventuell nach seinen Wurzeln zu suchen, wenn er es irgendwann möchte. Dieser Kampf führt sie bis zu Nelson Mandela – wo man dem Buch bereits märchenhafte Züge unterstellen könnte, wenn es sich nicht um eine Biografie handeln würde. Doch auf diese Art endet der Bericht mit einem optimistischen Ausblick, welcher vom Epilog noch einmal unterstrichen wird. Es wird deutlich, dass sich Claudia Tabberts Jahr in Afrika dank ihres Einsatzes und einem Quäntchen Glück mindestens für das Schicksal eines kleinen Jungen, dessen Leben vermutlich verwirkt gewesen wäre, gelohnt hat. „Mein Herz bleibt in Afrika“ – 255 Seiten Paperback für alle, die über den europäischen Tellerrand und die Sicherheit der heimischen Wohnung hinausschauen möchten, und eine Lektüre, die gleichermaßen bedrückend, ermutigend und unterhalten ist. |
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