Love Vampires (Kureishi Hanif: Love in a Blue Time, Faber and Faber, London, 1997 (Neuauflage 2003), S. 212, ISBN: 0-571-19222-X) 1997 veröffentlichte Hanif Kureishi seine erste Sammlung von Kurzgeschichten „Love in a Blue Time“ (dt. „Blau ist die Liebe“, eigentlich: „Liebe in einer traurigen Zeit“) und zeigte, dass er auch die kurze Prosaform auf seine witzige, freizügige und moderne Weise beherrscht und eine sehr abgeklärte Einstellung zur Liebe hat. |
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Ein erotischer Akt schemenhaft im Hintergrund des blauen Buchcovers, übergroß der Name des Autors und karminrot der Buchtitel – auf den ersten Blick möchte man meinen, dass eine Mogelpackung verkauft werden und soll, sich die Texte vielleicht hinter dem inzwischen „bestsellenden“ Autorennamen verstecken müssen. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt bereits das Inhaltsverzeichnis mit Titeln wie „My Son the Fanatic“ (dt. „Mein Sohn der Fanatiker“) oder „Nighlight“ (dt. Nachtlicht“), dass hier wichtige Stationen in der Entwicklung Kureishis als Autor versammelt sind. Die Kurzgeschichte „My Son the Fanatic“ z.B. erschien bereits 1995 und fungiert als Idee für den gleichnamigen Film, der 1997 in Cannes vorgestellt wurde. Die Grundidee der Geschichte „Nightlife“ (zwei einander unbekannte Personen treffen sich einmal pro Woche, um miteinander zu schlafen) findet man in der filmischen Umsetzung des Romans „Intimacy“ (dt. „Rastlose Nähe“) wieder. Und in der Figur des „Bubble“ aus „With Your Tongue Down My Throat“ (erste Veröffentlichung 1990) hat Kureishi bereits die Vorlage für Changez aus „The Buddha of Suburbia“ (dt. „Der Buddha aus der Vorstadt“) geliefert, der den selben Spitznamen trägt. Doch auch abgesehen davon lohnt es sich diese ungewöhnlichen „Liebesgeschichten“ zu lesen, wenn man den nüchternen, sarkastischen Stil des Autors mag und für einige Lesestunden dem Ideal der romantischen Liebe abschwören möchte. Im Folgenden sollen die einzelnen Geschichten kurz vorgestellt werden, ohne zu viel von ihrer Handlung vorwegzunehmen.
Zwei Freunde treffen aufeinander, die ihre Ziele im Leben nicht erreicht haben. Sie müssen feststellen, dass die Werte ihrer Vergangenheit (insbesondere der 70er Jahre) obsolet und sie selbst abgestumpft und desillusioniert sind. Liebe wird entzaubert als eine Frage der Entscheidung, bei jemandem zu bleiben, wenn die Gefühle nachgelassen haben.
Der Leser begleitet eine pakistanische Mutter mit ihrem Sohn auf einer Busfahrt durch London, während der sie mit rassistischen Äußerungen belästigt werden. Mit der empörten Äußerung der Mutter, dass sie keine Juden wären (wobei sie impliziert, dass man solche Beschimpfungen bei Juden verstehen könnte), macht der Autor deutlich, dass Vorurteile in allen Nationalitäten existieren. Aus der Perspektive des Kindes erfährt man, dass der Sohn das Geheimnis der Mutter hütet, die jedes Mal die Absagen der Verlage an den schriftstellernden Vater verschwinden läßt, seinen Vater imitiert und seinen Platz in einem Leben einnimmt, in das er geboren wurde, das er jedoch nicht versteht. In dem erfolglosen Schriftsteller-Vater in der Geschichte, darf man mit Sicherheit Parallelen zu Kureishis eigenem Vater erkennen.
Bill schläft - von Rachegedanken erfüllt - mit der Tochter des Mannes, mit dem seine Frau fremdgegangen ist. Während dessen resümiert er sein Leben und bedauert die Ziellosigkeit und die Dinge, die er versäumt hat. Doch das Ende der Geschichte enthüllt, dass das Altern und nicht die sexuelle Revenge eigentliches Thema der Geschichte ist.
Erzähltechnisch ist das die stärkste Geschichte des Bandes. Zwei ungleiche Halbschwestern – die eine aufgewachsen in London, die andere in Pakistan - treffen aufeinander – zunächst in London, dann in Pakistan. Vorurteile werden aufgezeigt und auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft; Traditionen auf ihre Bedeutung abgeklopft, der Zusammenhang zwischen Kleidung, Sprache und Nation verdeutlicht. Kureishis Erzähltalent zeigt sich besonders in den ironisch bis sarkastischen Szenen in der sich, die in London aufgewachsene Nina, mit ihrem überwiegend in Pakistan lebenden Vater auseinandersetzen muß, der von seiner anderen Tochter natürlich bestens über Ninas Leben in London informiert wird. Sie sollte sich ihr nur von ihrer besten Seite zeigen, was in etwa so aussieht: „I've already told her about my (...) addiction, my two abortions and poured a pot of tea over my head, I wouldn't want her to get a bad impression of me.“ (dt. etwa: Ich erzählte ihr bereits von meiner Abhängigkeit, meinen zwei Abtreibungen und schüttete eine Tasse Tee über meinen Kopf. Ich würde nicht wollen, dass sie einen schlechten Eindruck von mir bekommt.“) Die Geschichte lohnt sich auch wegen des Spiels mit der östlichen Doppelmoral hinsichtlich des Sexuellen. Sie klärt die weibliche Verwirrung über aggressiv flirtende Pakistanis auf, die mehr oder weniger schockiert sind, wenn eine Frau tatsächlich darauf eingeht („They flirt and want to poke their things in you, but they don't expect it.“) Die Schlußwendung beinhaltet noch einen überraschenden Erzählerwechsel.
Der Einstieg in die Geschichte erinnert an Mark Twain, der eine merkwürdige Begebenheit stets mit einem Rahmen einleitete, in dem ein Erzähler bereits darauf hinweist, dass das Folgende merkwürdig sein wird. Ein Fotograf wird gebeten, ein Pärchen beim Sex zu fotografieren, um die Liebe, die grundsätzlich als vergänglich angesehen wird, festzuhalten. Dieses Vorhaben erweist sich trotz Entstehen dieser Bilder als vergeblich. Sie werden verbrannt. „What do they say?“ („Was sagen sie [die Bilder] aus?“) Kann Liebe auf Fotos oder anderem festgehalten werden, oder hat mit dem Gedanken, sie festhalten zu wollen, das Ende bereits begonnen? *denk* *denk*
Geschildert wird die Entwicklung von Parvez' Sohn zu einem religiösen Fanatiker. Gegenübergestellt werden ohne Wertung des Autors der Wille, sich anzupassen, die strengen östlichen Regeln zu vergessen und sich und seinen Nachkommen in England ein gutes Leben zu ermöglichen (Bildung, Karriere) und die Suche nach Spiritualität, dem Entdecken und Befolgen der religiösen Regeln und dem Versuch der Bewahrung der östlichen Identität. Mit den Augen des Vaters erlebt der Leser, wie man zu diesen Menschen keinen Zugang mehr findet und nicht mit ihnen diskutieren kann, weil die Argumentationsbasis eine völlig andere ist. Gewalt scheint unvermeidlich zu sein in diesem Mix aus Hilflosigkeit und Wut auf beiden Seiten.
In dieser kafkaesken Geschichte versucht ein alternder Mann auf dem Klo der Familie seiner 18jährigen Freundin, bei der er zum ersten Mal zum Essen eingeladen ist, vergeblich, seine Hinterlassenschaften zu beseitigen. Während er darauf wartet, dass der Spülkasten zum wiederholten Male voll läuft und er schließlich mit der lebendig gewordenen Wurst zu kämpfen hat, denkt er über sein verschwendetes Leben nach.
Ein Mann und eine Frau treffen sich einmal pro Woche zum Sex, ohne einander zu kennen. Nach und nach wird die Situation für den Mann immer unvollkommener, da er sich in die Unbekannte zu verlieben beginnt. Schließlich muß er erkennen, dass er das Ziel seiner lebenslangen Suche nach purem Sex erreicht hat, und ihm nun wiederum die Liebe fehlt – die Neugier auf den anderen und das Gefühl, sich gemeinsam der Welt zeigen zu können.
Die Geschichte ist eine Auseinandersetzung mit Tschechows Erzählung „Das Duell“. Wie in dessen Werk werden Politik, Philosophie und Kunst in der modernen Zeit, die soziale Manipulation der Geschlechter und die Dynamik von Beziehungen in der Gesellschaft der Gegenwart diskutiert. Wie bei Tschechow reden den Figuren in ihren Dialogen meist aneinander vorbei und werden vom Autor nicht kommentiert. Frustration, Melancholie und Enttäuschung bilden die Grundstimmung von „Lately“. Es geht um ein Pärchen, das zu Beginn seiner Beziehung von der Stadt aufs Land gezogen ist. Beide schmarotzen arbeitslos vor sich hin und sind bei einigen Leuten verschuldet. Ihre Liebe ist inzwischen erkaltet; Fremdgehen an der Tagesordnung. Erzählt wird eine Phase, in der es beinahe zur Trennung kommt. Der Höhepunkt ist eine Schlägerei „von Mann zu Mann“ - ein Duell quasi.
Wer nach dieser Geschichte keine Fliegenphobie bekommt, muß sie noch einmal lesen! In dieser fantastischen Erzählung findet der Ehemann Baxter heraus, dass seine Wohnung mit Fliegen verseucht ist. Sie kriechen aus Augen, Nasen und anderen Körperteilen hervor. Sie sitzen in Kleidern, auf Möbelstücken, fliegen durch die Gegend – kurz: Die Viecher treten in Massen auf und sind überall. (besonders eklig: sogar auf einem aus einer Vagina gezogenen Finger), und auch Mittel vom Fachmann helfen nicht wirklich gegen sie. In anderen Häusern findet der Protagonist auf einer Wanderung ebenfalls besagte Fliegenpest und geht am Ende der Geschichte sogar in einer Wolke aus Fliegen davon. Nach und nach wird dem Leser klar, dass da im wahrsten Sinne „etwas faul ist", was die Fliegen bekanntermaßen anlockt – und zwar die Beziehungen dieser Menschen. Solchermaßen enthüllt sich der symbolische Gehalt der Geschichte: Die Fliegen stehen für den Niedergang und die Desillusionierung von Personen in einer Beziehung, die zum Hass auf den Partner und zum Wunsch, diesen zu verlassen und das eigenständige Leben zurückzuerhalten, führen.
Ich denke, dieser Band Kurzgeschichten ist vor allem für Menschen geeignet, die gerade eine Beziehung hinter sich gelassen haben und sich noch ein wenig in ihrer eigenen Desillusion wälzen müssen/ wollen, bevor ein neuer Mensch kommt und die verflixte Sache mit der Liebe von vorn beginnt. Ist man nicht bereits schwermütig, wird man es durch diese schmerzvollen Geschichten über die ernsthaften und dunklen Seiten der Liebe mit Sicherheit.
Trotz aller Abgeklärtheit und der Desillusion in Kureishis Werken scheint auch bei diesem Autor das Vertrauen zumindest in die Suche nach der „wahren Liebe“ nicht ganz verschwunden zu sein, denn alle seine Protagonisten sind „on the move from wife to wife, from husband to husband, lover to lover.“ Sie sind „love vampires, turning from person to person, hunting the one who will make the difference.“ (Nightlight; „auf dem Weg von Ehefrau zu Ehefrau, von Ehemann zu Ehemann, von Geliebten zu Geliebten (...) sind Vampire der Liebe, wechseln von Person zu Person, diejenige jagend, die den Unterschied machen wird.“) |
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