Im Westen nichts Neues (und im Osten auch nicht) (Goris, Eva: Collection des verlorenen Wissens. Ein Handbuch für den Hausgebrauch, Droemer, Ulm, 2006, S. 224) Eine kleine rundliche Frau im Blümchenkleid mit einer vorgebundenen weißen Schürze auf dem chlor- und säurefrei gebleichten Papier - das ist sie also: Die Bewahrerin des verlorenen Wissens; der Urtyp einer Oma; die Frau mit dem saftigsten Rinderbraten, dem leckersten Marmorkuchen, dem Kartoffelwickel bei Halsschmerzen oder dem Kräutergärtlein gleich hinterm Haus... „Hallo! Geht’s noch?!“ möchte man da am liebsten rufen. Dieses Buch ist 2006 erschienen. Von meinen eigenen Großmüttern besitzt nicht eine ein Blümchenkleid und weiße Schürzchen haben sie vor Jahrzehnten gegen unförmige Dederon-Ganzkörperverhüllungen eingetauscht, die sie – modebewusst, wie sie heute sind – auch nicht mehr tragen. Ich bin nicht eben geneigt, das Buch gleich aus der Hand zu legen. Doch irgendwie hat das auch was: Diese schwungvoll auf alt getrimmte Titelschrift, die angelehnt an Omas Rechtschreibregeln eine Kollektion eine „Collection“ sein lässt; der für den Küchengebrauch völlig ungeeignete aber liebevoll gestaltete papierene Einband in herbstlichem Braun und die Verheißungen des Inhaltsverzeichnisses: angefangen von der Vermittlung kosmetischen Wissens über Küchenfragen, Natur und Garten, sowie Haushaltstipps bis hin zu Omas schönsten Gedichten und Liedern. Geben wir der Autorin eine Chance. |
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Eva Goris’ Vorwort evoziert nostalgische Erinnerungen an „die“ Großmutter – an deren Kräuterwissen, ihr Wissen um Heilung, um den Lauf der Jahreszeiten oder um alte Bauernregeln. Die Autorin hat ihre Tipps und Tricks nach Kapiteln geordnet, denen jeweils eine kurze, manchmal von schelmischem Witz geprägte Einleitung vorangestellt ist; beispielhaft die Einleitung zum Kapitel „Durch Tag und Jahr“: „Endlich Freitag, endlich Wochenende, denkt sich so mancher schon am Morgen. [...] Es gibt Radiosender, deren Moderatoren ihren Hörern nur noch von Freizeit, Urlaub und Spaß erzählen und nicht mehr davon, daß man sich all das nur dann leisten kann, wenn die wirtschaftliche Lage stimmt und erst mal entsprechend gearbeitet wird. So denkt sich mancher, dass Freitag eben Freitag heißt, weil man da freihat.“ Wenige Seite weiter wird der geneigte Leser dann aufgeklärt und erfährt, dass „Freitag“ nach der germanischen Göttin „Freya“ benannt ist. An dieser Stelle wäre ein Rückverweis auf die Einleitung wünschenswert (was so gut wie nie in diesem Buch gemacht wurde). Möglich, dass es Absicht war, den Leser mitdenken zu lassen. Zugegebenermaßen ist es auch nicht wirklich schwierig, darauf zu kommen, dass sich das „y“ in Freyas Tag zu einem „i“ abgeschliffen hat und schließlich der Freitag daraus wurde. Man hätte es jedoch auch aufschreiben und das Buch somit etwas abrunden können. Gut gelungen ist das Kapitel über das „Basiskochen“. Als in einer großen Familie auf dem Land aufgewachsene Person finde ich den Gedanken daran, dass es industriellen Fertigprodukten gelingen soll, Fertigkeiten wie das Kochen von simplem Kartoffelbrei oder die Herstellung von Basisteigen wie Mürbe- oder Hefeteig aus dem kulturellen Gedächtnis zu verdrängen, in höchsten Maße befremdlich. Doch wenn dem tatsächlich so ist, dann kann man die einfachen Erklärungen zu den gelieferten Rezepten, bei denen zusätzlich darauf eingegangen wird, warum manches so und nicht anders gemacht werden muss, nur begrüßen. Ebenso erging es mir mit der liebevollen Aufstellung der Hauptsaisons für Obst und Gemüse. Zu beklemmend erscheint die Tatsache, dass jemand nicht wissen sollte, wann Äpfel oder Kirschen reif sind. Doch dann wieder muss ich über mein eigenes Unwissenheit staunen, wenn unter der Überschrift „Hätten Sie’s gewußt?“ geschrieben steht, dass man selbst Eigelb tagelang frisch halten kann, wenn man es in eine Tasse gibt und mit kaltem Wasser übergießt. Bei uns freuen sich gewöhnlich die Vierbeiner über übrig gebliebene Eigelbe. (Beim nächsten Hund wird alles anders.) Um jedoch einen solchen Trick oder ein bestimmtes Rezept später wieder zu finden, muss man das gesamte Kapitel danach abgrasen. Nur, wenn man weiß, was man sucht, ist das Stichwortverzeichnis im Anhang hilfreich. Möglich, dass Widersprüche eine Folge unser schnelllebigen Zeit geworden sind. Auf der einen Seite ernähren wir uns von Fertiggerichten aus dem Supermarkt und wenig liebevoll zusammen gerührtem Kantinenessen. Auf der anderen Seite propagieren jedoch zahlreiche Kochshows im Fernsehen die Rückkehr zur Ursprünglichkeit mit regionalen und saisonalen Produkten. Auf der einen Seite schmieren wir Hightechkosmetik auf unsere Körper, die auf der anderen Seite mit den selben natürlichen Produkten arbeitet wie wir sie auch in einem gut sortierten Küchenschrank finden. Schade auch um das Geld, welches wir so häufig in Apotheken tragen, wo ebenso gut ein Hausmittel aus Omas Erfahrungsschatz helfen würde. Das vorliegenden Buch möchte „altes Wissen“ von der Natur und deren Wirkung auf den Menschen vermitteln und bewahren; so auch über Pflanzen und wie man sie am besten anbaut. Gut zu wissen z.B., dass Schnittlauch die Rosen vor Mehltaubefall schützt und Ackersenf gegen Schnecken hilft. Nützlich für alle die, die einen Garten besitzen, ist auch die Zusammenstellung der Pflanzen, die sich gegenseitig im Wachstum behindern, oder der Fundorte von Heilkräutern und die Erklärung zur Herstellung von Pflanzenjauche zur Schädlingsbekämpfung. Abgesehen von diesen praktisch orientierten Kapiteln versucht sich die Autorin ebenso daran, uns Omas Auffassung von Glauben und Religion vertraut zu machen. „Es tut der Seele gut, wenn man sich bei Gott aufgehoben fühlt und im Vaterunser sagen kann: ‚Dein Wille geschehe.’“ – Noch ein Grund, warum ich meine eigenen Großmütter sympathischer finde: Deren Traditionen und Rituale richten sich weniger nach dem Kirchenjahr als nach der Arbeit, die es zu verrichten gilt. Auch so kann man einem Tag Struktur verleihen und abends erfüllt ins Bett fallen. Respekt, Höflichkeit und Hilfsbereitschaft verstehen sich von selbst und werden von der Familie vorgelebt auch ohne Bibel an die Urenkel unserer Großmütter weitergegeben. Für diejenigen unter uns, die an einer guten Allgemeinbildung interessiert sind, hat Eva Goris auch gleich noch die Märchen aufgelistet, die man ihrer Meinung nach kennen müsste. Es sind ganze 15 an der Zahl – da hat wohl jemand ein bisschen viel Hansi Hinterseer geguckt: Eine gute Oma sollte doch einige Märchen mehr kennen oder ihren Enkeln besser ein dickes Märchenbuch schenken, wenn es so ärmlich um den großmütterlichen Geschichtenschatz bestellt ist. Die letzte Seite, welche nach jedem der 13 Kapitel für eigenen Notizen frei geblieben ist, würde nicht ausreichen, die Titel der Märchen aus meiner Kindheit aufzuzählen. Gleiches gilt für die Kinderspiele, unter denen sich merkwürdiger Weise von Topfschlagen über Fange bis hin zur „Stillen Post“ ebenfalls nur solche befinden, die ich aus meiner eigenen Schulzeit kenne und, wie sie meine Schwester heute noch in der Schule mit Freunden spielt. Da stellt sich zwangsläufig die Frage danach, wie verloren das Wissen aus diesem Buch tatsächlich ist. Vielleicht atmet die Autorin erleichtert auf - sollte sie jemals diese Kritik lesen - wenn ich ihr an dieser Stelle versichere: Es gibt noch Orte auf dieser Welt, die zwar von einer modernen Lebensweise zwischen Aldi&Co., Nivea, Fernsehen und Computerspielen dominiert werden, wo Eltern aber trotzdem ihr Wissen, welches ihnen wiederum von ihren Eltern mitgegeben wurde, nun an ihre eigenen Kinder weitergeben. Weiß man es in jungen Jahren auch nicht zu schätzen, wenn man mit dem Kopf unter ein Handtuch über einen Topf mit dampfendem Kamillenwasser gepfercht wird - spätestens nach der Pubertät und bei einer stark verstopften Nase erinnert man sich dankbar daran. Was bringt also die „Collection des verlorenen Wissens“? Kurz gesagt: Einen unterhaltsamen Abend. Einige Erinnerungslücken können aufgefrischt, Wissen kann ergänzt werden. Generell aber, liest sich „Omas Schatzkästlein“ wie eine Zusammenstellung der Ratgeberseiten aus „Bild der Frau“. |
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