Wider den Mythen

(Karin Deckenbach: War was Eva?, Droemer, S. 299, ISBN: 3426274140)

Fünfzig Jahre nach der sexuellen Revolution und den Anfängen der Emanzipationsbewegungen präsentiert sich Deutschland als eine der unmodernsten Gesellschaften Europas. Karin Deckenbach macht das vor allem am veralteten deutschen Mutterbild und der mangelnden männlichen Unterstützung sowie den verinnerlichten Idealen der Frauen bei der Kindererziehung und beruflichen Karriere fest. In ihrem Buch „War was Eva?“, welches man sicherlich als Antwort auf Eva Hermans Vorschlag „Frauen zurück an den Herd“ („Das Eva Prinzip“, 2005) lesen kann und soll, vergleicht sie die Entwicklungen in Deutschland mit den wirtschaftlich wie gesellschaftlich vorbildlich entwickelten skandinavischen Ländern oder auch Frankreich. Diese praktizieren bereits seit Jahren, was in Deutschland mit der Diskussion um die Verantwortung des Staates hinsichtlich der Erziehungs- und Bildungsaufgabe und dahingehenden Entlastung von Eltern erst beginnt (bzw. in den östlichen Bundesländern wieder beginnt).

Dabei macht die Autorin an ihrem Beispiel deutlich, dass sich auch in Deutschland Ehe und Familie sowie Beruf und Karriere nicht ausschließen müssen. Die studierte Diplompolitologin und Journalistin ist selbst glücklich verheiratet und Mutter. Dennoch hat sie ihre berufliche Entwicklung nicht vernachlässigt und arbeitet unter anderem als freie journalistische Korrespondentin für Südostasien. Da in ihrem Buch die „Generationen, Geschlechter und Gefechtslagen“ ausführlich zu Wort kommen sollen, wählt sie einen etwas ungewöhnlichen Aufbau: Große Teile von „War was Eva?“ bestehen aus offenen Interviews, welche im Wesentlichen nur leicht kommentierte und durch Deckenbach gelenkte Gespräche zwischen Freundinnen wiedergeben.

So behandeln Teil eins und zwei des Buches die aktuelle Verwirrung und Jammerlage hinsichtlich der Emanzipation der deutschen Gesellschaft. Deckenbach rekapituliert die Errungenschaften der Frauenbewegung als das Erreichen von Möglichkeiten der Bildung, Ausbildung und beruflichen Karriere von Frauen und die Durchsetzung des Gleichheitsgedankens. Die Frau ist eben nicht nur Adams Rippe sondern ein vollwertiges Individuum mit eigenen Ansprüchen an das Leben. Den Gesprächen der im Buch zu Wort kommenden Frauen kann man jedoch entnehmen, dass die wenigsten die Möglichkeiten nutzen. Im Gegenteil – die Emanzipation erscheint hauptsächlich Frustration hinterlassen zu haben: Karriere möchte frau – aber nur ein bisschen. Kinder natürlich – aber nur mit dem richtigen Partner und finanzieller Sicherheit. Außerdem spielen sexuelle Erfüllung und Partnerschaft eine nicht unwesentliche Rolle im Leben der interviewten Frauen, wobei ihnen ebenfalls nicht klar ist, ob sie nun den Macho oder doch eher den Softie fordern. So herrscht Verwirrung auf beiden Geschlechterseiten. An dieser Stelle fehlt umfangreicheres Kommentiere und Analysieren durch die Autorin. Sie hält lediglich fest, dass Emanzipation als eine Schaffung von Möglichkeiten gesehen werden muss.

Teil drei behandelt die Einflüsse des Staates, der Politik und der Gesellschaft auf die Möglichkeiten der individuellen Selbstverwirklichung. Sie kritisiert das Ehegattensplitting als veraltetes Model der Entlastung. Die Elternzeit beschreibt sie als „Mütterfalle“, welche die Frau durch Elternzeit und/ oder aufreibender Teilzeitarbeit beruflich und finanziell weit hinter den Partner zurückwirft und oft auch beim so genannten „Auseinanderleben“ von Partnern beteiligt ist. Anhand der Situation in Frankreich und Dänemark werden signifikante Unterschiede in der Akzeptanz von berufstätigen Müttern, Kinder erziehenden Vätern sowie der Sichtweise auf Fremdbetreuung deutlich. So sieht man in Dänemark zum Beispiel Fremdbetreuung in Kindergärten und Kinderkrippen nicht als Resultat einer „Rabenmutterschaft“ sondern als Verwirklichung des Rechtes des Kindes auf Lern- und Entwicklungschancen, während in Deutschland Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern bereits in frühester Kindheit in ihrem Entwicklungsstand hinter gut betreuten Kindern zurückbleiben. In diesem Zusammenhang fasst Deckenbach noch einmal die Thesen Eva Hermans zusammen und kommentiert sie mit Reaktionen der Leser aus Internetforen, die eine deutliche Sprache für sich sprechen. Hier hätte die Autorin aber nicht nur abschreiben sondern wesentlich mehr kommentieren sollen, denn es schleicht sich das ungute Gefühl ein, dass die umfangreichen Zitate als Seitenfüller benutzt wurden. In der vorliegenden Form profitieren von diesem Abschnitt vor allem diejenigen, die Eva Hermans Buch „Das Eva Prinzip“ nicht gelesen haben.

In Teil vier analysiert Deckenbach folgerichtig und nach Ost und West unterschieden, warum deutsche Frauen nicht dem Wunsch nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie nachgehen. Als Gründe dafür macht sie vor allem in den westlichen Bundesländern die Erfüllung eines „Muttermythos“, welcher mit einer Professionalisierung von Mutterschaft einhergeht, und eine typisch deutsche Betreuungsphobie aus, die durch die Situation in der ehemaligen DDR im Osten des heutigen Deutschlandes weniger ausgeprägt ist. Kritisch hinterfragt sie dabei auch die Rolle der Frau beim eigenen Ausbremsen der Karriere und fordert die Entwicklung von liberaleren Einstellungen und die Akzeptanz eines lebenslangen Lern- und Entwicklungsprozesses, aus dem karriereorientierte Frauen während der Mutterschaft nicht aussteigen sollten.

Für Einsteiger in die Problematik ist dieses Buch auch wegen des fünften Teils, der die Geschichte der Frauenbewegung zusammenfasst, gut geeignet. Wer sich damit bereits eingehend befasst hat, wird hier nicht viel Neues finden. Teil sechs ist vor allem interessant wegen der Darstellung der männlichen Seite der Emanzipation. Deckenbach bezieht sich unter anderem auf die Kritik von Ulrich Beck, der bei einem großen Teil der Männer eine „verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“ ausmacht. So nehmen bisher nur fünf Prozent der deutschen Männer die Möglichkeiten des „Vaterseins“ wahr; wobei ein Ausprobieren hier einen wesentlichen Zuwachs an Verständnis für die Frau und deren Rolle bringen würde. Die Autorin verschließt an dieser Stelle jedoch auch nicht den Blick vor der Tatsache, dass selbst viele Frauen den Männern eine gute Erfüllung der, heute leider immer noch als „Mutterpflichten“ gesehenen, Tätigkeiten bei der Führsorge für Kleinkinder absprechen.

Die letzten Teile des Buches widmet Deckenbach den Konsequenzen aus ihrer Schlussfolgerung, dass Wunsch und Wirklichkeit in Deutschland noch weit auseinanderklaffen. Sie belegt diese Schlussfolgerung noch einmal mit einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, deren Fazit lautete, dass nur sechs Prozent der deutschen Bevölkerung das klassische Alleinernährer-Modell praktizieren wollen, jedoch ganze achtzig Prozent der deutschen Familien tatsächlich genau so leben - wobei zwei Drittel der Männer sich familiär gern mehr beteiligen möchten.

Deckenbach kommt zu dem Schluss, dass es für Frauen an der Zeit ist aufzuwachen und einzusehen, dass man nicht alles haben kann. Sowohl Karriere als auch Kinder bedeuten Kompromisse einzugehen oder Abstriche zu machen. Das Bild der „Übermutter“ muss als ein der Überforderung Vorschub leistender Mythos erkannt werden. Volkswirtschaftliche Arbeit hingegen sollte als aller Recht und Pflicht gesehen werden. In der heutigen wirtschaftlichen Situation ist es eine Illusion zu glauben, dass die Last des Erwerbs und der Versorgung von Familie allein den Männern aufgebürdet werden kann. Daher sind Betreuungsmöglichkeiten zu schaffen, damit Frauen durch Mutterschaft nicht mehr aus dem Berufsleben in die soziale Abhängigkeit gedrängt werden. Dazu gehört auch die Emanzipation von Männern, die darauf beharren, sich die sozialen Kompetenzen aneignen zu dürfen, die man bei der Familienarbeit erwerben kann.

Karin Deckenbach sieht hierbei auch die Politik in der Verpflichtung, die statt Anreize für eine möglichst lange Pause im Erwerbsleben von Frauen zu schaffen, endlich der Wirklichkeit gerecht werden und einsehen muss, dass ein Einkommen allein längst nicht mehr zur Existenzsicherung genügt. Männer und Frauen müssen auch im Erwerbsleben gleichberechtigt behandelt werden. Es muss beiden möglich sein, in gut bezahlte Positionen vorzudringen. Beruflich erfolgreiche Frauen werden wiederum mit den von ihnen in Anspruch genommenen Dienstleistungen hinsichtlich von Haushalt und Kinderbetreuung zur Schaffung von Arbeitsplätzen (auch für Frauen) beitragen können. Ausführliche Berechnungen belegen auch hier die Kluft zwischen dem von deutscher Politik geschaffenen Anspruch und der Wirklichkeit.

In einem witzigen, teilweise polemischen Stil bringt Karin Deckenbach in „War was Eva?“ auf den Punkt, woran es in Deutschland bisher noch mangelt. Der Wechsel zwischen offenen Interviews mit verschiedenen Sprechern und erzählendem Text sowie wissenschaftlichen Erläuterungen macht das Buch zu einem kurzweiligen Lesevergnügen. Der Leser erhält dabei einen umfassenden Einblick in die aktuelle Diskussion und Positionen, da er sich leicht in die einzelnen Sprecher hineinversetzen kann. Nicht zuletzt bietet die Autorin mit einem umfangreichen Literaturverzeichnis die Möglichkeit zur weiteren Auseinandersetzung mit den angesprochenen Themen.

Das einzige, was an diesem Buch formal etwas aufstößt, sind die zwei reißerischen Phrasen „Wer sich nicht wehrt, endet am Herd.“ und „Lebst du noch oder kochst du schon?“, welche überdeutlich auf dem grell-pinkfarbenem Umschlag prangen. Diese typisierenden Aufmacher hat das Buch nicht verdient, denn besonders gelungen ist in „War was Eva?“ gerade, dass eben nicht die Männer als alleinige Schuldige an der aktuellen Lage der Frau dargestellt werden und polemische Sprüche durch Fakten relativiert werden. Frau muss sich weder wehren noch das Kochen aufgeben. Ganz konkret zeigt die Autorin auf, wo die Schwächen der Frau liegen, die zu ihrer eigenen Misere beitragen, denn letztlich ist für den weiblichen Bevölkerungsteil heutzutage alles möglich. Es können nur nicht gleichzeitig alle Möglichkeiten wahrgenommen werden. Aber wer zurück an den Herd möchte, kann dies ebenso frei tun, wie die Frauen, die ein eher vorwärts gewandtes Modell leben wollen. Ja, Eva, es war was. - Absolut aktuell und lesenswert!

veröffentlicht auf literaturreport 2007
Copyright © 2007 Corinna Hein