In Ägypten müssen sie sich in einer Gesellschaft zurechtfinden, die maßgeblich mit Hilfe von Beziehungen, Bakschisch und Diplomatie funktioniert. Als die Demonstration der Hydraulikmaschine fehlschlägt, fokussiert sich Giovannis Interesse auf die Möglichkeiten als Entdecker und auf die Bergung von Altertümern. Dabei gerät er in den Wettstreit des französischen napoleontreuen Konsuls Giovetti, der ägyptische Kunstschätze für den Louvre bergen möchte, und Henry Sault , welcher daran interessiert ist, eine Sammlung anzulegen, um sie dem Britischen Museum zu verkaufen. Für Sault birgt und verschifft Belzoni den tonneschweren Kopf einer Staute des Memnon, was bis dahin als unmöglich galt. Nach und nach entdeckt er mehrere Gräber im Tal der Könige und wird immer besessener von neuen und noch wertvolleren Schätzen – darüber geht ihm das Interesse an seiner Frau verloren.
Sarah steht zunächst voll und ganz hinter ihrem Mann. Sie kann ihn durch ihr Einfühlungsvermögen in die fremde Kultur unbemerkt unterstützen. Davon überzeugt, an die Seite ihres Ehemannes zu gehören, reist sie mit zu den Ausgrabungen und freundet sich mit den Frauen der Gegend an. Fasziniert ist sie ebenfalls von Jean Burckhardt, der zwar von Geburt an Schweizer ist, der sich jedoch so in die Kultur des Islam eingelebt hat, dass er als muslimische Kaufmann Sheikh Ibrahim auftritt und sogar auf Hadsch bis nach Mekka gegangen ist. Doch vor allem der charmante aber zwielichtige Drovetti kommt Sarah immer wieder gefährlich nahe. Der Mann fordert neben ihrer Schlagfertigkeit und Intelligenz auch ihre moralischen Werte heraus; so dass sie gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen ist. Als Sarah schließlich erkennen muss, dass Giovanni nur noch für seine Anerkennung als „großer Mann“ lebt, beschließt sie endlich nach ihrem englischen Korsett auch ihre konservative Einstellung abzulegen und Ägypten auf eigene Faust in Männerkleidung zu bereisen. Solchermaßen wird sie zum Entdecker der Kultur und der Menschen, während ihr Mann sich seinen Ruf als „Pionier der Ägyptologie“ erarbeitet.
Während von Konsul Giovetti, Jean Burckhardt und Giovanni Benzoni erhebliche historische Fakten verbürgt sind, hat die deutsche Autorin Tanja Kinkel die Figur der Sarah in dem Dreiecksverhältnis zwischen ihrem Mann und dem französischen Verführer mit italienischen Wurzeln eigenständig entwickelt. In leisen Tönen beschreibt sie die schrittweise Entfremdung der Eheleute und die Herausforderungen denen sich ihre Frauenfigur mit dem Credo „Was immer du tun willst, fang damit an!“ in dem unentdeckten Land stellen muss. Sexualität bleibt dabei nicht außen vor, wird aber eher angedeutet und umschrieben, da solche Gedanken meistens aus der Perspektive der konservativen Sarah reflektiert werden. Kinkels Figuren sind im Ganzen so plastisch ausgearbeitet, dass sie den Leser förmlich an die Hand nehmen, damit er den Pioniergeist der alten Tage atmen kann. Man kann sich in Giovannis verzweifelten Kampf gegen den Wüstensand und mit unberechenbaren Arbeitskräften ebenso einfühlen, wie in Sarahs Angst vor unbekannten Krankheiten, Einsamkeit und Enttäuschung oder in ihren inneren Kampf um die moralische Standhaftigkeit angesichts des beharrlichen Werbens Giovettis.
Diesen Hauptpersonen hat Kinkel weitere Helden an die Seite gestellt, welche das Handlungsschema bereichern und ausbauen. Zum einen ist da der bereits erwähnte James, welcher in Ägypten erwachsen wird und dessen schmerzhaften Trennungsprozess von seinen Zieheltern der Leser mit durchlebt. Dann ist da der griechische Junge George, welcher sich allein durch das Leben schlagen und notfalls auch seinen Körper verkaufen muss. Außerdem lernen wir Belzoni aus Sicht des jungen Übersetzers Yanni Athanasiou kennen, welcher beständig zwischen Respekt und dem festen Glauben, dass Belzoni eigentlich ein gefährlicher Irrer sei, schwankt. Den Vorurteilen, die man aus der Perspektive der Entdecker über die ungebildeten, faulen und äußerst unberechenbaren Einheimischen ausgesetzt ist, arbeitet die Figur des arabischen Studenten Rifaa entgegen. Dieser trägt mit seinem Verweis auf einen, dem europäischen Wissenschaftskanon seiner Zeit unbekannten arabischen Historiker nicht nur maßgeblich dazu bei, dass Belzoni den Eingang zur zweiten Pyramide von Gizeh findet, sondern weckt auch Verständnis dafür, dass die Menschen, denen Bildung verwehrt wird, ihre historischen Schätze nicht zu würdigen wissen und mit den europäischen Grabräubern zusammenarbeiten. Diese detailliert ausgearbeiteten Charaktere sind die größte Stärke des Romans, dessen Tempo eher behäbig daher kommt und dessen Dreiecksgeschickte ebenfalls nicht neu ist. Wenn die Belzonis nicht gerade auf Booten oder in Höhlen leben, erhält der Leser außerdem Einblicke in die städtische Lebensweise, in Religion und Bäderkultur soweit sie den Erfahrungshorizont der handelnden Figuren streifen.
Alles in allem hat die deutsche Autorin Tanja Kinkel erneut einen gut recherchierten historischen Roman vorgelegt, der mit einer überzeugenden Mischung von Fakten - das Buch ist mit einer ausführlichen Bibliographie und mit Kartenmaterial ausgestattet - und Fiktion, Spannung, Abenteuer sowie vielschichtig angelegten Personen ausgestattet ist. Ihrer Herkunft nach, in ihrem Zwiespalt zwischen eigenen Wünschen und den Konventionen und mit ihrer Flucht in die Religion (überdeutlich in der Pilgerreise) erinnert die englische Waise ein wenig an Jane Eyre. Auch Sarah muss in der Person, zu der sie sich in Ägypten entwickelt hat, erst sich selbst wiederfinden, bevor sie ihre Stelle an der Seite eines/ ihres Mannes gefestigt wieder einnehmen kann. Als Leser darf man sich fragen, ob eine unkonventionelle Beziehung mit Giovetti im Abenteuerland Ägypten Sarah nicht intellektuell mehr gefordert und gefördert hätte, als die Ehe mit dem gutmütigen Belzoni, bei dem im Laufe des Romans der Eindruck entsteht, er sähe seine Frau eher als Besitz oder Anhängsel. Doch die Autorin vertraut hier neben der Historie auf die Liebe. Man möchte es ihr nicht verübeln. So ist „Säulen der Ewigkeit“ gute Unterhaltung, bei der es nach der letzten Seite schwer fällt, den Buchdeckel zuzuschlagen und die Figuren loszulassen.
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