Wenigstens Joschels leicht durchgeknallte Mutter Hanne glaubt, dass ihr Sohn etwas ganz Besonderes ist und vielleicht doch mehr als seine Segelohren von seinem Vater geerbt hat, der als Korrespondent für die FAZ arbeitet, seinen Sohn jedoch seit Jahren nicht mehr besucht hat. Und doch steckt hinter allem nur Fausto - ein mehrere hundert Jahre alter pelziger Dämon mit einem Horn auf der Stirn, der sich als Tintenfleck durch beschriebene Seiten frisst, sich dabei von Rechtschreibfehlern ernährt und ganz nebenbei auch noch Texte produzieren kann.
Wie Joschel Canans Zuneigung gewinnt und fast wieder verspielt, wie sich seine Freundschaft mit Fausto entwickelt, er zuletzt gemeinsam mit Canan und dem Klassenstreber ein Abenteuer um Leben und Tod bestehen muss und ob Joschels Vater tatsächlich beim Schreibwettbewerb der FAZ erscheinen und stolz auf seinen Sohn sein wird, hat Oliver Dierssen auf die 445 Seiten seines Romans gebannt. Jede der 30 Kapitelüberschriften ist mit zauberhaften Kritzeleien illustriert, wie man sie in Schulheften finden könnte.
Dierssen schreibt in nicht zu flapsiger Jugendsprache, die selbst für Erwachsene sehr amüsant zu lesen ist. Die Themen sind angemessen für Jungen und Mädchen im frühen Teenageralter. Doch es ist besonders erfreulich, dass das Buch Jungen anspricht, da diese von der Jugendliteratur eher stiefmütterlich behandelt werden. Mit Humor und Einfühlungsvermögen dreht sich alles um das Überleben in der Pubertät, wenn die Eltern anfangen schwierig und Freunde wichtiger als die Eltern zu werden, wenn die Schule als notwendiges Übel angesehen wird und das Herz zum ersten Mal für eine Person des anderen Geschlechts zu schlagen beginnt. Überhaupt fühlt sich der erwachsene Leser an seine eigene Pubertät erinnert: "Das böse Wort mit P. Dieses Thema mochte ich überhaupt nicht, hierüber wollte ich mit Hanne nicht sprechen, ich verweigerte jede Aussage: Über die Haare, die an verschiedenen Stellen meines Körpers wuchsen. Über die Videos an verschiedenen Stellen meiner Festplatte. Darüber, wie unfassbar eklig die verschiedenen Hanne-Geräusche waren, die bis vor Kurzem jeden Samstagabend dumpf durch die dünne Wand drangen, als Hanne noch regelmäßig Besuch kriegte. Nichts davon wollte ich mit meiner Mutter besprechen. Aber das schien auch nicht nötig zu sein. Denn sie benahm sich, als würde sie bereits alles wissen. Widerlich."
Die Themen sind zeitgemäß. Die erste Liebe aus der Sicht eines Jungen zu erleben, hat neben den gewollt komischen Elementen auch etwas Berührendes. Besonders fällt der sensible Umgang mit der schwierigen Familiensituation der Fittichs auf, die gerade aus der Sicht Joschels deutlich macht, wie enervierend der Umgang mit wechselnden Partnern und die permanente Enttäuschung durch den genetischen Vater für das Kind sind.
Der 30-jährige Oliver Dierssen hat mit "Fausto" bereits seinen zweiten Roman veröffentlicht. Bei seinem Roman "Fledermausland" (2009), der mit dem Deutschen Phantastik Preis in der Kategorie "Bester deutschsprachiger Debütroman" ausgezeichnet wurde, setzten der Autor und der Heyne-Verlag noch auf das relativ sichere Trendthema "Vampire". Mit dem furchtsamen, Rechtschreibfehler fressenden Bücherdämon Fausto hat Dierssen jedoch eine Figur geschaffen, die bisher nicht ihresgleichen hat. Es bleibt zu wünschen, dass der originelle kleine Kerl in vielen Kinderzimmern Einzug hält.
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