Auf den Flügeln der Zuversicht (Lo von Gienanth: Was heißt hier alt?: Anstiftung zum Eigensinn, Droemer, S.235, ISBN 3426274477) Senioren, Generation 60+, Best Ager und wie man sie außerdem nennt – unsere Alten; die Werbung hat sie längst als Zielgruppe entdeckt. Der Buchhandel folgt. Scheinbar ist es Zeit, dass zwischen den Klischees des in einem Seniorenheim dem Verfall preisgegebenen Menschen und den konsumierenden fitten Supergroßeltern, die für die Eltern ihrer Enkel gehalten werden könnten, eine realistische Sicht auf das Alter festzuhalten. Die Journalistin, Autorin und Moderation Lo von Gienanth erzählt deshalb in „Was heißt hier alt – Anstiftung zum Eigensinn“ von persönlichen Erfahrungen sowie von Erlebnissen ihrer Freunde und Verwandten und macht in erster Linie der Generation 60+, welcher sie selbst angehört, Mut, anhand der gebotenen Beispiele einen positiven Entwurf von Alter zu entwickeln und abseits von allen propagierten Trends oder Schreckensmeldungen einen eigenen Weg durch die letzte Lebensphase zu finden. (Lo von Gienanth: Was heißt hier alt?: Anstiftung zum Eigensinn, Droemer, S.235, ISBN 3426274477) |
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So portraitiert sie beispielsweise die Gründerin und Chefin der Agentur „Senior Models“ Christa Höhs, den Diplomaten im Ruhestand Ernst Schäfer oder Louis von der Borch, einen Lehrer an der Münchner Fachoberschule für Gestaltung. Mit ihnen und anderen hat sich Lo von Gienath über deren Ansichten vom Alter, vom Altern und über den Umgang mit dem nun deutlicher begrenzten Leben unterhalten. Doch werden in diesem Buch keine Interviews wiedergegeben, sondern die Autorin schreibt reflektierend und kurzweilig über die positiven und negativen Seiten der Entdeckung der „Alten“ als Konsumenten oder als Studenten sowie nicht zuletzt auch als Generation, deren Kindheit so deutlich vom Krieg geprägt war wie ihre Jugend vom Wiederaufbau. Altern wird weniger dargestellt als Verschleiß des Körpers, der beim Älterwerden selbstverständlich eine Rolle spielt, sondern vor allem als eine Frage der inneren Einstellung. Die Generation 60+ hat ihr ganzes Leben lang Erfahrungen darin gesammelt, mit neuartigen komplexen Konzepten im Leben umzugehen. Man denke da neben der Kriegs- oder Aufbauzeit nur an die Frauenbewegung der 60er Jahre. Diese Erfahrungen machen flexibler, offener und selbständiger im Hinblick auf neue Formen des Lebens und damit auch des Alters. Die unbewusste Wut auf den körperlichen Verfall führe dabei zu Vitalität, zu einem trotzigen Aufbegehren, wie es der Untertitel des Buches als „Anstiftung zum Eigensinn“ zusammenfasst. Es geht darum, wenigstens in besonders intensiven Momenten die Angst vor dem Tod zu verlieren, die Angst vor der Schwäche des Alters zu überwinden und zu einem Selbstbewusstsein zu finden, das es ermöglicht, die verbliebenen Jahre so zu nutzen, wie es dem individuellen Menschen am sinnvollsten erscheint, kurz darum „bei sich zu bleiben – und den anderen anders sein [zu] lassen.“ Die Autorin hält es mit Samuel Ullmann, deren Gedicht „Youth“ sie zitiert, wenn sie davon spricht, dass man sich Fantasie, Zuversicht, Mut und Selbstvertrauen im Herzen erhalten sollte. Ziel sei es, wach und lebendig zu bleiben sowie sich auf das Leben zu freuen. Dass Frau Gienanth ihre eigenen Ratschläge beherzt, wird in den geschilderten Episoden ihres Lebens deutlich. Da jedoch die Gesprächspartner der Verfasserin des Buches allesamt aus der Oberschicht der deutschen Gesellschaft stammen, handelt es sich um die Erfahrungen von gut ausgebildeten welterfahrenen Alten. Es wäre interessant gewesen, die Meinungen von Menschen aus anderen Schichten zu hören – von Senioren, die kein ausreichendes Vermögen besitzen, um ihrem letzten Lebensabschnitt ähnlich sorglos entgegenzusehen. Gibt es Unterschiede zwischen Alten in Städten und ländlichen Gebieten? Die Autorin genießt es, ihre Enkel aufwachsen zu sehen. Wie sieht es mit Senioren aus, deren Familienverband durch die immer stärker geforderte Flexibilität der Menschen zerrissen ist? Wie betrachten Bewohner von Pflegeheimen ihr Alter? Von Gienanth definiert Alter vor allem als innere Einstellung und lässt komplizierte äußere Faktoren, die in ihrem Bekanntenkreis vermutlich nicht auftreten, beiseite oder streift sie nur. Dadurch wirft das Buch Fragen auf, die es nicht beantworten kann. Der größte Verdienst dieses Werles ist es dennoch, den Lesern vor Augen zu führen, dass die „Alten“ keine homogene Masse sondern sehr individuelle Menschen mit eigenen Erwartungen und Ansprüchen an das Leben sind, welche wie die anderen Generationen auch ihren Platz in einer Umwelt neu definieren müssen, die viele Möglichkeiten und wenig Orientierung bietet. Geprägt von Zuversicht und Vertrauen, weckt sie damit Verständnis und schafft eine Basis auf der sich die Generationen weiter verständigen können. „Was heißt hier alt“ ist damit nicht nur ein Buch für Alte sondern für alle diejenigen, die alt werden wollen. |
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