"Buddha"-Variation

(Hanif Kureishi: Gabriel's Gift, Faber and Faber, London, 2001, S.178, ISBN: 0-571-21085-6)

Hanif Kureishis aktuellster Roman „Gabriel's Gift“ (dt. „Gabriels Gabe“) erinnert in vielem und viel zu sehr an seinen Debütroman „The Buddha of Suburbia“ (dt. „Der Buddha aus der Vorstadt, 1990) und dessen Nachfolger „The Black Album“ (dt. „Das schwarze Album“, 1995), kann deren Tiefe und Originalität jedoch nicht erreichen.

Die Handlung ist schnell erzählt: Der Vater des 15-jährigen Gabriel verläßt seine Familie, um ziellos durch London zu streunen und in einer billigen Absteige dahinzuleben. Er zehrt von den Erinnerungen an die guten, alten 70er in denen er umgeben von Sex, Drugs und Rock'n Roll mit der Rockband um Lester Jones tourte, bis er während eines Konzerts von seinen Plateauschuhen kippte und nach dem Ausheilen der Verletzung nicht wieder in die Band aufgenommen wurde. Gabriels Mutter ist mit ihrem Geschäft pleite gegangen und versucht nun, ihren Sohn und sich mit einem Kellnerjob über Wasser zu halten. Gabriel selbst hat eine Gabe, wie bereits der Titelt verrät: ein Zeichentalent. Indem er dieses entwickelt, arbeitet er an der Erfüllung seines Traumes, findet sein Lebensziel und seinen Platz in der Erwachsenenwelt. Der Originaltitel ist doppeldeutig – handelt es sich bei dem „gift“ nicht nur um die Gabe zeichnen zu können, sondern auch um ein Geschenk, das für einige Verwirrungen sorgt.

Wäre da nicht Kureishis spezieller Humor (Ironie, Satire, groteske Begebenheiten), gäbe es keinen Grund diesen Roman zu lesen, denn es scheint, dem Autor sind die Ideen ausgegangen. „Gabriels Gift“ liest sich wie eine Variation der Themen, die bereits im „Buddha of Suburbia“ oder in „The Black Album“ (beides bereits von mir bei Ciao besprochen) ausgearbeitet wurden. Wieder hat Kureishi einen Initiationsroman vorgelegt, in dem ein künstlerisch begabter Jugendlicher in einer verwirrenden, rassistischen Welt bestehend aus unterschiedlichsten Typen (Homosexuellen, Künstlern, Menschen am Rande der Existenz) seinen Platz finden und am Erreichen seines persönlichen Traumes arbeiten muß.

Wie Karim („The Black Album“) und Shahid („The Buddha of Suburbia“) kommt der Held in diesem Roman aus einem wenig intakten Elternhaus der englischen Mittelklasse. Sein Vater ist - gelinde gesagt – ein Träumer, ein Spinner, ein ewig Gestriger oder, um es mit Gabriel zu sagen: „Had he been a woman, he might have been called hysterical. Instead he was deemed 'moody', which, because of its 'artistic' overtones (...) suited him.“ (dt. etwa: „Wäre er eine Frau gewesen, würde man ihn als hysterisch bezeichnet haben. Statt dessen hielt man ihn für „düster“, was ihm der 'künstlerischen' Untertöne wegen gut stand.“) Seine Mutter hingegen steht mit beiden Beinen im Leben und fürchtet nichts mehr, als dass der Sohn sich wie sein Vater zum Künstler berufen fühlen und dessen Ende nehmen könnte. Dementsprechend erzählt Gabriel ihr nichts von seinem ersten Job, bei dem er ein Aktportrait des homosexuellen Barbesitzers Speedy anfertigt, wobei der Leser die gleichen Ängste ausstehen muß, die Gabriels Eltern ausstehen würden, wüßten sie, dass er so engen Kontakt mit einem von Kureishis „love vampires“ pflegt. Man erwartet förmlich, dass Speedy den blutjungen Gabriel auf der Stelle verführt, doch hier reicht die Phantasie eines Kureishi-erfahrenen Lesers über die des Autors hinaus (oder er hat sich diesen Tabubruch nicht getraut).

Interessant an der Figur das Gabriel ist dessen tiefe Verbundenheit mit seinem verstorbenen Zwillingsbruder Archie. Wohl jeder, der bereits einen lieben Menschen verloren hat, kennt das Phänomen, dass man sich hin und wieder bei einem inneren Zwiegespräch mit dieser Person ertappt. Für Gabriel ist Archie der engste Vertraute, da ihm die Eltern aufgrund eigener Probleme oft nicht zur Seite stehen können/ wollen. Mit Archies Augen gelingt es ihm, seine Situation objektiver zu betrachten. In Entscheidungssituationen wird der verstorbene Bruder so zu Gabriels rationaler innerer Stimme.

Amüsieren kann sich der Leser über die Figur des „Kindermädchens“ aus dem Ostblock, das zum Glücklich-sein nichts weiter braucht, als ausreichende Mengen an Nahrungsmitteln und die Seifenopern im Fernsehen. Zum Schmunzeln verleitet den Leser ebenso das altkluge und dennoch pointierte Reden Zaks (Gabriels bestem Freund), dessen Vater seine Familie überraschend für einen Liebhaber verlassen hat. Witzig sind auch Szenen, in denen mit Hilfe von Musik oder Anspielungen auf Musiker über das Leben philosophiert wird.

Sein ganz persönliches fiktionales Universum unterstützt Kureishi in „Gabriel's Gift“ mit einem „Gastauftritt“ des Charlie Hero aus „The Buddha of Suburbia“, der immer noch ein populärer Rockstar ist, mit der Erwähnung von Deedee Osgood aus „The Black Album“ und mit der Enthüllung, daß Charlies Mutter und Karims Vater dazumal eine Affaire hatten. Dadurch wirkt „Gabriel's Gift“, obwohl es eine Fiktion ist, authentischer.

Als jedoch für den Protagonisten in „Gabriel's Gift“ zum Schluß der gemeinhin schwer zu erfüllende Traum vom Erfolg mit der Erfüllung des Traums von einer intakten Familie zusammenfallen, gibt der Autor seine ironisch distanzierte Haltung zugunsten einer märchenhaft irrealen Zusammenführung der Elternteile auf. Möglich, dass Kureishi damit den Lesern, die ein happy end brauchen, entgegenkommen wollte. Möglich auch, dass der Autor genug hat, von offenen Enden und traurigen Geschichten wie in „Love in a Blue Time“ oder „Intimacy“ (dt. “Blau ist die Liebe“, 1997; „Rastlose Nähe“, 1998). Objektiv betrachtet stört dieser Schluß jedoch, weil er nicht zum realistischen Stil Kureishis paßt. Auch dadurch überzeugt der Roman trotz guter Figurenanlagen und witziger Dialoge nicht. Man sollte in Mußestunden lieber zu einem der anderen Werke Kureishis greifen.


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veröffentlicht auf buchwurm.info, 2005 veröffentlicht auf ciao.com, 2003
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