„Autsch! Was soll das?!” Ein aufgebrachtes Stimmchen drang aus dem lockeren Erdreich zu mir herauf. Erschrocken zog ich meine Hacke zurück. Da teilte sich plötzlich die Erde und ein stattlicher Regenwurm glitt aus ihr heraus. Erbost sah er in mein Gesicht und zuckte nervös mit dem hinteren Körperende.
Ich muß wohl etwas ratlos dreingeblickt haben, denn sofort empörte sich der feuchtglänzende Gesell weiter. „Was gaffen Sie mich so an? Habe ich vielleicht Milben im Gesicht?”
„Nein, sicher nicht. Aber, um was genau geht es denn eigentlich?” versuchte ich, der Mißmut des Regenwurms auf die Schliche zu kommen.
„Sie haben mir an Ihrem Pflug den Kopf gestoßen. Darum geht es!” Er neigte sein Vorderteil ein wenig nach links. „Hier! Wie soll ich jetzt mit dieser Beule weitergraben, hä?!”
„Entschuldigung. Ich konnte ja nicht wissen, daß Sie gerade hier entlangkriechen, wo ich hacke. Das ist nämlich gar kein Pflug sondern eine Bügelzughacke.”
„Ich erkenne einen Pflug, wenn ich einen sehe. Das Ding da ist aus Metall wie ein Pflug und zerwühlt mein Reich wie ein Pflug. Es zerstört meine Gänge wie ein Pflug und macht das Geräusch von fallendem Wasser nach wie ein Pflug. Folglich ist es ein Pflug und basta!”
„Und basta! Hihihi.” lachte es von einem Primelblatt herüber. Überrascht sah ich zur Seite und entdeckte einen Marienkäfer, der behutsam seine Flügel faltete und unter dem schwarzgepunkteten roten Mantel verstaute.
„Mit Verlaub, was wollen Sie denn von Pflügen wissen?” wandte sich der griesgrämige Regenwurm an den kichernden Käfer.
„Wenn Sie sich gütigst erinnern wollen, war ich an dem Tag dabei, als Sie das Gespräch von zwei Menschen am Feldrand belauscht haben.”
„Ich habe nicht gelauscht.” knurrte der Wurm. „Ich habe lediglich mitgehört.”
„Hihihi... ja, mitgehört haben wir.” Kicherte der Käfer immernoch.
„Und darum geht es auch gar nicht. Wieso flattern Sie nicht wieder davon, wie Sie es immer tun, nachdem Sie ein paar kluge Kommentare abgegeben haben? Jetzt wäre der geeignete Zeitpunkt dafür.”
„Aber bitte, versuchte ich zu schlichten, heute ist solch ein sonniger Tag. Wer wird sich denn da streiten, anstatt das tolle Wetter zu genießen?”
„Tolles Wetter! Tolles Wetter!” äffte der Regenwurm. „Ich höre immer: tolles Wetter. Möchte wissen, was daran toll sein soll! Ich fühle mich schon ganz ausgetrocknet. ...und mir tut der Kopf weh, woran natürlich Sie Schuld sind.” Er sah mich wieder wütend an.
„Natürlich. Warum kriechen Sie nicht ein Stückchen nach dort hinüber? Da bin ich bereits fertig mit dem Hacken. Die Erde ist so locker, daß ihr Kopf beim Graben bestimmt nicht weh tun wird.” Ich sah den Regenwurm bittend an.
„Aus Prinzip nicht.” antwortete er und versenkte sein Hinterteil ein Stück im Boden.
„Hihihi, Prinzip.” kicherte der Marienkäfer und hielt seine Fühler in die Sonne.
„Na, gut.” Ich wollte den Wurm vorsichtig greifen und hinübersetzen.
„Halt! Unterstehen Sie sich!” schrie er da und seine Stimme überschlug sich fast dabei. „Fassen Sie mich nicht an! Ich will keine Malaria bekommen.”
„Aber ich habe doch keine Malaria.” Ich zog meine Hand zurück. Langsam zweifelte ich am Verstand des alten Griesgrams. Er atmete tief durch und murmelte wieder gefaßt und etwas leiser: „Ich bin doch nicht farbenblind. Ihre Hand ist völlig gelb. Das sagt ja wohl alles.”
Ich sah auf meine Hand und begriff: Meine gelben Gummihandschuhe hatten dem armen Regenwurm einen solchen Schrecken eingejagt. In mich hineinlachend meinte ich: „Aber das ist doch nicht meine Haut. Das sind gelbe Gummihandschuhe, die man überzieht, damit man sich die Hände in der Erde nicht so schmutzig macht. Außerdem habe ich noch nie gehört, daß Würmer Malaria bekommen können.” Ein Schnarchen drang vom Primelblatt herüber. Der Käfer war in der Sonne eingedöst.
„Ja, ja, das weiß ich selbst.” Er sah zum Schnarcher hinüber. Ich glaube, der griesgrämige Wurm war sogar ein wenig rot angelaufen im Gesicht.
„Vielleicht wäre es in diesem Fall nicht gegen ihre Prinzipien, wenn ich Sie mit der größten Umsicht hinübersetzen würde?” fragte ich vorsichtig.
„Ja, ähm, nein. Also man muß ja auf der Hut sein vor Malaria, habe ich gehört. Aber wie die Dinge nun liegen... Es wäre durchaus nicht gegen meine Prinzipien, wenn Sie.. aber mit äußerster Vorsicht, bitte. Ich bin sehr empfindlich und vertrage Höhe nicht.”
Ich hob den Wurm, der seine Augen ganz fest zukniff, auf meine Hand. Von Nahem sah es tatsächlich so aus, als hätte er ein kleine Beule. Schnell setzte ich ihn auf dem fertig gehackten Stück gleich neben der Primel ab. „So, bitte sehr. Hier haben Sie auch ein klein wenig Schatten.”
„Ja, das ist gut. Danke.” Er öffnete die Augen wieder.
Ich fuhr mit meiner Gartenarbeit fort. Hacken. Unkraut ziehen. Hacken. Unkraut ziehen. Nach einer Weile kam es von rechts. „Finden Sie nicht auch, daß sich Ihr Klopfen anhört, als würde es regnen?”
„Nein. Tut mir leid. Ich höre kein Klopfen, nur das Knirschen von Sand.”
„Ihr Menschen habt aber auch gar kein Gehör! Unten bei uns wäret ihr schon verloren.”
Ich lachte. „Kann gut möglich sein. Deshalb leben wir wahrscheinlich über der Erde.”
„Nicht sehr erstrebenswert.”murmelte er. „Diese Wärme, diese Trockenheit! Ich verstehe nicht, wie man das ertragen kann. ...wo es in der Erde so schön kühl und feucht ist.” Er schüttelte ein wenig den Kopf.
„Und trotzdem kommen sie immer wieder an die Oberfläche...” begann ich, aber ließ das Satzende vorsichtshalber offen.
„Das mache ich nur, wenn es etwas zu erfahren... , ähm, wenn es unumgänglich ist.” Er hatte den Kopf in den Sand gelegt und wühlte etwas in ihm herum.
„Verstehe. Der Bildung wegen.” Ich nickte wissend.
„Ja, genau. Der Bildung wegen.” Stimmte er zu. „Ich glaube, mein Kopf tut nicht mehr weh, und ich bin bereits ganz zerknittert. Für diesen Moment ist es unumgänglich, daß ich in meine Gänge zurückkehre, falls ich noch welche habe.”
„Sehen Sie, ich kommt doch gar nicht so tief hinunter mit meiner Hacke.” begann ich.
„Ja, ja, grüßen Sie mir diesen albernen Schnarcher, wenn er wieder aufwacht. Ich muß jetzt wirklich los.”
„Tschüß.” sagte ich und: „Es wird übrigens heute nicht mehr regnen.” Doch das letzte hörte er schon gar nicht mehr. Oder er wollte es nicht hören.
„Was wird es heute nicht mehr?” Der Marienkäfer war aufgewacht und rieb sich die Augen.
„Regnen.” wiederholte ich.
„Ach, so.” Er sah sich um. „Wo ist er hin, der alte Nörgler?”
„Er ist zurück in seine Erde gekrochen, läßt Sie jedoch grüßen.” Ich deutete auf die winzige Erhebung neben der Primel.
„Wie kann er nur!” Der Käfer entfaltete seine Flügel. „Wo doch heute so richtig tolles Wetter ist.” Damit flog er ohne ein weiteres Wort davon.
„Tolles Wetter, tolles Wetter!” drang es ganz leise aus der Erde. Ich nahm den vollen Unkrauteimer und machte mich grinsend auf den Weg zum Komposthaufen.
Teil einer Serie von "Tiergeschichten"; erstmalig vorgestellt in der Lesung "Sommergefühle" am 5.07.2002 im Club "Marchwitza" in Eisenhüttenstadt
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