Sie hat vier Wochen Zeit, um die Spuren bis zu Helens Farm Rosehill mit einem wunderschönen Schmetterlingsgarten nachzuvollziehen, herauszufinden, dass ein Familienamulett auf einen von dieser Farm weit entfernt lebenden Stamm hinweist, sowie, dass die Geschichte ihrer Großmutter eng verknüpft ist mit dem schweren Leid und Unrecht, dass den Ureinwohnern Australiens durch die Überlegenheitsgefühle, die Willkür und den missionarischen Eifer der europäischen Einwanderer angetan wurde. Dabei verliebt sie sich in den Tauchlehrer Alan, der wie sie selbst keine Familie mehr hat.
Auf mehreren Zeitebenen in der Vergangenheit spielt sich die Geschichte von Helen Tanner ab, die 1958 beginnt und rückblickend entwickelt wird bis zum Jahr 1902. In diesem Jahr siedelt sie als Helene Junker aus einem brandenburgischen Dorf in Deutschland in die deutsch-lutheranische Kolonie Neu Klemzig nach Australien über, um dort die Buchhaltung zu führen und in der Nachbargemeinde Zionshill die Stelle einer Lehrerin zu besetzen. Ihre Eltern haben sie dem Pfarrer Gottlieb Schmitter anvertraut, der jedoch seine Macht als Leiter des Missionarsdorfs Zionshill in jeglicher Hinsicht missbraucht. So stiftet er nicht nur in beiden Gemeinden Unfrieden, sondern Helene muss sich auch vor seinen Nachstellungen schützen, was ihr immerhin besser gelingt, als ihrer Aborigines-Freundin Amarina. Als Helene ihren Gefühlen für den jungen Pfarrer und Familienvater Johannes nachgibt und von diesem schwanger wird, sind ihre Tage in Neu Klemzig gezählt. Doch der Hass Gottliebs verfolgt sie über den ganzen Kontinent hinweg.
Die deutschstämmige Fernsehproduzentin und Autorin Annette Dutton ist im Jahr 2000 nach Australien ausgewandert und weiß, wovon sie schreibt. Vor allem ihren Landschaftsbeschreibungen und dem bunten Panorama der Orte, in die sie Natascha reisen lässt, merkt man die Liebe zu Australien an. Der Leser findet außerdem ein umfangreiches Literaturverzeichnis, dass die vorbereitende Recherche illustrieren dürfte. So ist denn auch Helenes Zeit in den lutheranischen Gemeinden, in denen die Einwanderer eng zusammenarbeiten müssen, um ihr Überleben in einem Land zu sichern, dass zwar auf den ersten Blick wie das Paradies erscheint, sich aber ebenso schnell zur Hölle entwickeln kann, wenn Buschfeuer und Regenfälle im Land wüten, sehr überzeugend beschrieben. Der Leser fühlt sich mit der jungen Frau und ihren Gastfamilien sofort verbunden. Man kann sich auch die kleinen Siedlungen bildlich vorstellen. Sehr gut gelungen ist ebenso der Einblick, den man in das Leben und die Kultur der Aborigines im Kontrast zu den Einwanderern erhält, wenn Helene ihre Beobachtungen über die auf den Farmen aushelfenden Aborigines wiedergibt oder auch als sie auf ihrer Flucht durch Australien eine Zeit lang bei den Ureinwohnern lebt. "Der geheimnisvolle Garten" als Konsequenz eines Aborigine-Totems, das Helene von Amarina geschenkt bekommt und sie zu ihrer Bestimmung führen soll, wirkt jedoch einigermaßen konstruiert. So ist nichts Geheimnisvolles an dem Garten zu finden, sondern er fungiert selbst nur als Teil eines großen Ganzen, dessen Fäden an vielen Stellen zusammenführen.
In der Gegenwart kontrastieren Nataschas Entwurzelung und ihre Suche nach der Herkunft als Zeichen einer Zeit, in der die großen Familiengefüge nicht mehr existieren und auch die Glaubensgemeinschaften weniger familiäre Strukturen aufweisen. So wie die junge Journalistin nach den Wurzeln ihrer Familie sucht, findet sie auch die australischen Ureinwohner bestrebt, ihre Geschichte aufzuarbeiten, Wiedergutmachung für das Unrecht zu fordern, historische Güter zu bewahren und diese der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Aborigines wie Mitch, der ihr immer wieder als Fahrer behilflich ist, erscheinen dabei wie Wanderer zwischen den Welten, auf der einen Seite modern und europäisch auf der anderen verwurzlet mit ihrer ursprünglichen Kultur. Geschickt verwebt die Autorin hier Geschichte mit der der Gegenwart.
Sehr gut gelungen ist der Charakter des Gottlieb, der in seinem missionarischen Eifer fast lächerlich erscheint, aber dessen Gefährlichkeit sowohl der Leser als auch Helene lange Zeit unterschätzen. Nachdem er seinen Status in den Gemeinden gefestigt und seine Wünsche durchgesetzt hat, verhelfen ihm sein vorgeblich wohlmeinender religiöser Habitus, sein hinterhältiges Wesen und seine abgrundtiefer Hass auf alle, die sich ihm nicht unterwerfen, dazu, seinen Einfluss auf Helenes Leben weit über die Grenzen von Zionshill auszudehnen und ihr das Wertvollste zu nehmen, was sie im Leben besessen hat. Unbefriedigend hingegen ist, dass es keinen Showdown mit dem Bösewicht gibt. Nur aus einem Bericht erfährt man, dass er etwas unschön an Syphillis gestorben sein soll. Doch jemandem, der so Grausames getan hat, hätte man wenigstens in einem fiktionalen Text im Gedenken an die "gestohlene Generation" der australischen Ureinwohner ein angemesseneres Ende bereiten können.
Mit der ursprünglichen Hauptperson des Romans Natascha bin ich leider nicht warm geworden. Sobald Helens Geschichte beginnt, sticht deren stärkere Persönlichkeit hervor und wird der Fokus auf ihr Leben gerichtet. Die vielen unterschiedlichen Zeitebenen in der Vergangenheit verlangen etwas Geduld, aber durch das nicht stringente Erzählen wird Helenes Geschichte noch interessanter. Zuerst erfährt man nur über ihre Probleme mit Gottfried und die allgemeine Situation in der Kolonie, bevor man schließlich tiefer in das Leben der Einwanderer eintaucht sowie auf den wahren Grund für Helenes Flucht und die Verschleierung ihrer Identität gelenkt wird. Die Erlebnisse Nataschas erscheinen da plötzlich wie lästige Unterbrechungen. Zu gern möchte man wissen, wie Helenes Leben weitergeht und nicht, ob Natascha nun mit dem Tauchlehrer schläft. Besonders albern erscheint die Szene, in der Mitch Natascha darüber aufklärt, dass ihre Beziehung zu Alan sich etwas schleppend entwickelt, weil dieser Bindungsangst hat, und für alle, die es noch nicht wussten auch noch fachmännisch hinzusetzt, was das eigentlich ist. Nataschas Suche nach Hinweisen auf ihre Großmutter gestaltet sich nur mäßig spannend, weil man die Geschichte nicht mit ihr entdeckt, sondern immer schon etwas mehr weiß, bevor sie sich die Dinge zusammenreimen kann.
Das Romandebüt "Der geheimnisvolle Garten" ist also bei aller Brisanz, die das Thema haben könnte, eine leichte Urlaubslektüre, so wie die rosafarbenen Blüten auf dem Cover und dem Schnitt es bereits vermuten lassen; jedoch eine Urlaubslektüre, die dem Leser durchaus etwas Langmut abverlangt.
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