Während die Geschäfte prosperieren und dem Ehepaar Mendes eine Tochter geboren wird, verschärft sich der Antisemitismus auch in Portugal. Naturkatastrophen werden als Strafe für die Duldung der scheinchristianisierten Juden gedeutet und als die Inquisition das Land schließlich erreicht und Immunität auch nicht mehr mit Geld und großzügigen Darlehen erkauft werden kann, gelingt es der inzwischen verwitweten Gracia Mendes gerade noch mit ihrem Kind und ihrer Schwester zu ihrem Schwager nach Antwerpen zu fliehen. Doch auch dort gibt es auf Dauer keine Sicherheit. Also führt die Flucht weiter nach Venedig, wo sich die Schwestern über dem Familienvermögen entzweien, bis Gracia schließlich mit Hilfe des türkischen Sultans Aufnahme in Konstantinopel findet, wo sie nicht nur am Erfolg ihrer Firma sondern auch am Erwerb eines Gebietes für eine jüdische Enklave namens Tiberia in Palästina weiterarbeitet.
Der erfolgreiche deutsche Schriftteller und Doktor der Philosophie Peter Prange hat in einer Zeit, in der es literarische Frauengestalten mindestens zur Päpstin bringen müssen, mit der historischen Figur der Gracia Mendes eine der bedeuten Persönlichkeiten der jüdischen und europäischen Geschichte des Mittelalters ausgegraben, die sowohl im europäischen als auch jüdischen Bewusstsein beinahe in Vergessenheit geraten ist, obwohl sie zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Frauen der Geschichte gehörte und ein Imperium in Größe der Fuggers geleitet hat, während sie zudem von ihren Glaubensbrüder als Heilige verehrt wurde.
Um dieser berechnenden, äußerst gläubigen sowie ihren engsten Freunden und der Familie gegenüber recht hartherzig wirkenden Frau Sympathie zu verleihen, webt Prange tragische Liebesgeschichten in die historisch verbürgte Rahmenhandlung ein, welche Gracia im Widerstreit zwischen Vernunft und Gefühl, liebevoll und verletzlich zeigen. Dennoch ist es nur ein kleiner Schritt von einer Frau, die nur das Gute will und jener, die das Ziel der Rettung vieler über dass eigene Leben und das Lebensglück ihrer Freunde und Familie stellt. So muss Gracia zum Ende des Romans hin feststellen, dass sie im Glauben, das Richtige zu tun, zahlreiche ihrer Glaubensgrundsätze verletzt und Menschen, die ihr am Herzen lagen, für ihre höheren Ziele geopfert hat.
Gerade im Kontrast zur personifizierten Inquisition in der Gestalt des fanatischen Dominikaners Cornelius Schleppering, gewinnt die Figur der Gracia jedoch an Sympathie und Verständnis. Während sich Schleppering zum Lebensziel setzt, die Juden entweder zum katholischen Glauben zu bekehren oder auszurotten sowie einen ganz persönlichen Feldzug gegen Gracia Mendes zu führen, welche er für den Teufel in Menschengestalt hält, lebt und arbeitet Gracia nur für die Rettung und die Sicherheit des jüdischen Volkes, welches sie gleich der Königen Esther wieder ins gelobte Land heimführen will. Dass sie sich dabei Gottgleichheit anmaßt wirkt verzeihlicher als der Wahn des innerlich vom Hass und äußerlich von der Syphilis zerfressenen Inquisitors. Dessen körperlicher und geistiger Verfall spiegeln auch den Zerfall der Kirche durch die Reformationsbestrebungen der Protestanten wider. Als er schließlich vor seiner Krankheit und der enttäuschenden Feststellung, dass es in seiner Religion weniger um die Verbreitung des Wort Gottes sondern um wirtschaftliche Interessen sowie um Macht und Einflussnahme geht, kapitulieren muss, empfindet der Leser beinahe Mitleid mit ihm. Gracia bringt man jedoch auch in ihren schwersten Stunden, in denen sie stets das große Ganze im Blick hat, während ihre Umwelt nur die unmittelbaren Auswirkungen auf sich selbst erkennt, auch bei Entscheidungen gegen ihr Herz niemals Mitleid sondern Respekt entgegen. Ebenda liegt der besondere Verdienst des Autors, welcher seine Heldin nicht als Heilige sondern als Frau mit Schwächen zeigt, und ihr mutige, gebildete und leidenschaftliche Figuren zur Seite stellt, welche Gracia den Weg aus der Sackgasse ihres Denkens weisen können.
Dabei hält er sich hinsichtlich einer Bewertung der Religionen zurück. Die jüdischen Bräuche werden im Rahmen der Handlung geschildert und denen der Christen aus der Sicht Gracias gegenübergestellt. Anhand der im Spannungsfeld zwischen den Religionen aufwachsenden Kinder Gracias und ihrer Schwester Brianda wird deutlich, dass Religion eine Frage der Erziehung ist und die Kinder ebenso gut glückliche Katholiken werden könnten, wenn es die Angst der Eltern vor den in der eigenen Glaubensrichtung angesiedelten Konsequenzen der Hinwendung zu einer anderen Religion nicht gäbe. Als paradiesischer Ort erscheint somit nicht das von Gracia herbeigesehnte Land Tiberia sondern die Stadt Konstantinopel mit seiner geistigen Freiheit und der friedlichen Koexistenz der verschiedenen Religionen. Nirgendwo scheinen die Menschen ihrem jeweiligen Gott näher als dort, wo auf relativ kleinem Raum viele Versionen des einen Gottes angebetet werden. Hier findet auch Gracia endlich, was sie ihr Leben lang gesucht hat – inneren Frieden aus der Sicherheit heraus, vor ihrem Gott und ihrer Familie richtig gehandelt zu haben. Als Vertreter angemessener Religiosität erweist sich der Mediziner Amatus Lusitanus, welcher die bedeutenden Schriften aus unterschiedlichen Kulturkreisen ungeachtet kulturellen oder religiösen Dünkels studiert und für seine Arbeit heranzieht.
So schlägt man die Buchdeckel des gut 750-seitigen überwiegend erzählenden Wälzers befriedigt zu, auch wenn sich nicht alle Hoffnungen seiner Helden erfüllt haben und nicht alle Ziele erreicht worden sind. Zurück bleibt der Respekt vor einer tatkräftigen Frau, die bereits auf weltpolitischem Parket gearbeitet und für ihre Überzeugungen gekämpft hat, als Frauen der Zugang zu Bildung und Macht noch verwehrt war.
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