Grottaglie (Italien) | |||||||
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Etwa eine Stunde südlich von Apuliens Provinzhauptstadt Bari, die mit einem Flug von Berlin über Mailand bequem in ca. 5 Stunden zu erreichen ist, und nur 24 km von Taranto (dt. Tarent) entfernt liegt Grottaglie (sprich: Grottalje). Das erste Mal führte mich die Suche nach einem Geburtstagsgeschenk für Zia Anna (eine der zahlreichen Tanten meines Freundes Luigi) in die kleine Stadt im malerischen Itria-Tal. Das war im Jahr 2000 und an diesem Tag ist ein Virus auf mich übergesprungen, das bewirkt, dass ich bis heute vier Mal dorthin zurückkehren musste. |
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Die Anfahrt nach Grottaglie erfolgt in Richtung Taranto (Stadt) durch das mild gewellte Tal der Itria, auf dessen Erhebungen schon in früherer Zeit Siedlungen entstanden sind. Es ist übersäht mit Trulli, ein der typischen bäuerlichen Architektur Süditaliens entstammender niedriger Häusertyp aus Sandstein und Schiefer mit kreisförmiger Grundfläche und einem Kuppeldach, das oft von einem Sandsteinkreuz oder einer Kugel aus Sandstein geschmückt wird. |
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Immer wieder ragen diese putzigen Häuschen hinter niedrigen Steinmäuerchen hervor, hinter denen sich neben Olivenhainen und Obstbäumen die niedrigen Weinstöcke erheben, die der Gegend jährlich 75.000 Tonnen sonnengereifter Tafeltrauben bescheren. Besonders verbreitet sind die Sorten „Victoria“ und Regina“, die Dank ihres hervorragenden Geschmacks die Weine der Grottaglieser Kellerein so begehrt machen. Lachend erklärt mir Luigi, dass mein Schwips nach dem gestrigen Abendessen von einem der traditionellen Weine dieser Gegend verursacht wurde. Dass ich ein wenig tiefer als üblich ins Glas geschaut hatte, mag als der beste Beweis für die Anziehungskraft des Rebensaftes aus dieser Gegend gelten. Neben den traditionellen Sorten Primitivo und Negramaro werden auch Sorten des gehobenen Weinadels gekeltert – Chardonnay, Incrocio Manzoni und Cabernet Sauvignon, die mit dem Prädikat „Indicazione Geograpfica Tipica“ versehen schon so manchen Touristen auf seiner Heimreise begleitet haben. Doch nicht nur endlose Reihen gelber und roter Trauben säumen unseren Weg sondern auch Weideland auf dem Pferde unter vereinzelten Bäumen oder Unterständen Schatten suchen. |
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In den tiefen Einschnitten (Gravinen), die Wildbäche in den letzten 800.000 Jahren im weichen Kalksteinfelsen hinterlassen haben, fanden Menschen unterschiedlicher Epochen Zuflucht. Auch die Stadtgeschichte von Grottaglie nahm seinen Anfang aufgrund einer solchen Gesteinsstufe. Als die Goten im 5. Jahrhundert in Süditalien einfielen, zerstörten sie die Ortschaften aus der römischen und messapischen Zeit. Deren Bevölkerung suchte fortan in den Grotten Zuflucht, die in den zerklüfteten Hügeln zahlreich vorhanden waren und es auch heute noch sind. |
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Aber schon fünf Jahrhunderte später mussten die einzelnen Grotten wegen der einfallenden Sarazenen wieder verlassen werden. Die Bewohner unter anderem der Ortschaften Casalpiccolo und Salete schlossen sich daher zusammen und gründeten Grottaglie, das sie wegen der ständigen Kriegesgefahr bald mit einer Befestigungsanlage versahen. Um 1400 wurde ein Bischofschloss erbaut, welches den Bischhöfen von Taranto als Sommerresidenz diente und heute die Altstadt Grottaglies als Keramikmuseum schmückt. Einige der Höhlen in der Nähe Grottaglies sind heute touristisch erschlossen. Manche von ihnen bewahren Zeugnisse aus der griechischen Zeit. Am schönsten fand ich die Höhle Gravina Foranese, in deren Tuftstein ein unbekannter Künstler im 18. Jahrhundert die Passion Christin geschnitten hat. Aber auch die mittelalterlichen Felssiedlungen von Riggio, Fantiano, Fullonese, Penziere Lonoce und Grutti sind sehensenwert. Hier entdeckt man in den Fels gehauene und mit Wandmalereien dekorierte Kirchen, Behausungen mit einem oder zwei Räumen sowie Straßen, Treppen und Unterstände für Tiere. |
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Zisternen und Waschküchen sowie Ansätze einer Kanalisation scheinen darauf hinzuweisen, dass die Höhlenbewohner entgegen der Assoziationen, die dieses Wort erweckt, nicht nur eine gut organisierte sondern auch eine reinliche Gemeinschaft bildeten. Doch abgesehen vom historischen oder landschaftlichen Reiz kommt man nach Grottaglie vor allem der Keramik wegen. Daher schmückt sich der Ort auch offiziell mit dem Beinamen „Città della Ceramica“ („Stadt der Keramik“).
Die großen Tonvorkommen im Gebiet haben die Entwicklung des Keramikhandwerks stark gefördert, so dass die Produktion von Gebrauchskeramik (Geschirr, Wein- und Wasserbehälter, Fliesen und andere Baumaterialien) seit dem Mittelalter über Jahrhunderte die Haupteinnahmequelle der Stadt war. Davon zeugen die Exponate, die heute im kleinen Keramikmuseum ausgestellt sind (Episkopalschloss „Largo Maria Immacolata“, unterschiedliche Öffnungszeiten im Winter, Sommer und August/September, Eintritt frei). Dieses ist ganz leicht zu finden, wenn man bei Erreichen der Stadt den zahlreichen Hinweisschildern mit der dunkelbraunen Aufschrift „Il quartiere delle Ceramice“ folgt. Die Stadt ist in den letzten Jahrhunderten weit über die ursprüngliche mittelalterliche Begrenzung hinausgewachsen und wurde sogar als Standort des internationalen Flughafens Tarantos ausgewählt, doch sobald man das Keramikviertel „Li camenn're“ erreicht hat, ist man im Herzen der Altstadt angekommen. |
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In einem großen Bogen windet sich die Straße einen felsigen Hügel zum Schloss hinauf. Hier stellt man am besten sein Auto am Straßenrand ab, um die zahlreichen Keramikwerkstätten und die Altstadt zu Fuß zu erkunden. Die Weiterfahrt würde jedem nicht einheimischen Autofahrer Kopfschmerzen bereiten und Panik verursachen, da Grottaglies Altstadt einem Labyrinth gleicht, welches nur aus schmalsten oftmals spitz- oder rechtwinkligen Einbahnstraßen und Sackgassen besteht. |
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Ich erinnere mich noch heute bildlich und akustisch an den Tag, an welchem Luigis Eltern uns eine Kirche aus de 11./12. Jahrhundert mit einem Portal im römisch-apulischen Stil und einer prunkvollen Kapelle, deren Altäre den Schutzpatronen von Grottaglie gewidmet sind, zeigen jedoch wegen der Hitze nicht so weit laufen wollten. Die Irrfahrt endete schließlich ergebnislos nach einer von ständigem Hupen begleiteten Schlägelfahrt durch hohe weiß getünchte Häusergassen und lautstarken Diskussionen auf dem Schlosshügel bei den Keramikwerkstätten. |
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Entlang der Straße zum Schloss und rechts von ihr finden sich dutzende kleine Werkstätten, die ihre irdenen Wahren heute noch ganz ähnlich produzieren wie es vor Jahrhunderten ihre Vorfahren taten. Nicht selten sieht man in den Nachmittagsstunden des Sommers, dass ein Töpfer seine Töpferscheibe vor die Tür stellt, um seiner Arbeit an der kühlen Luft der Abendstunden nachzugehen. Obwohl heute vorrangig elektrischen Öfen benutzt werden, die man in der Werkstatt von L'Assainato sehen kann, wenn man von der Straße aus durch die große Tür in die Werkstatt blickt, existieren auch noch monumentale offenen Öfen, die dazu dienen sehr große Objekte zu brennen wie gigantische Vasen, die bis zu drei Meter hoch sein können. |
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Den familieneigenen Werkstätten, von denen jede ihren besonderen Stil entwickelt haben, sind Verkaufsräume angeschlossen, die für sich genommen schon wieder eine Sehenswürdigkeit bilden, da sie sich zumindest hier um den Schlossberg herum in den Grotten befinden, die sich die ersten Grottaglieser als Wohnraum nutzbar gemacht haben. Niedrige gewölbte Decken, enge Treppchen und in den Stein gehauene Regale findet man besonders sehenswert bei Caretta oder Cosimo Vestita.
Leider sind die Keramikmeister Grottaglies sehr bestrebt, alle ihre Familiengeheimnisse um den Ton, ihre Produkte sowie Werkstätten so geheim wie möglich zu halten. Deshalb sieht man es nicht gern, dass die Ausstellungsräume fotografiert werden. Doch sich umsehen und mit den Augen lauschen ist überall gestattet. Auch über die Preise von Nützlichem oder Nippes lässt sich mit dem ein oder anderen Verkäufer noch verhandeln und ein kleines Schwätzchen über die Herkunft oder die eigenen Eindrücke von Italien ist sowieso immer drin. |
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Meine Lieblingswerkstätten sind die von Bonfrate, von Cosimo Vestita und L'Assainato. Seit ich mit einer dickbäuchigen Pfeife aus Keramik in Vogelform aus Litauen zurückgekommen bin, habe ich eine wachsende Affinität zu Tonpfeifen in Tiergestalt entwickelt. Inzwischen sind einige Pfeifen dazugekommen – davon allein vier von Bonfrate, die sich als Katze, Eule, Huhn und Phantasiegeschöpf farbenfroh, in witzigen Formen und vor allem absolut funktionstüchtig in meine Sammlung einreihen. Eine weitere habe ich bereits an eine Freundin verschenkt, die ebenfalls vom Keramikvirus befallen wurde. L'Assainato und Cosimo Vestita schätze ich besonders wegen ihrer sowohl formschönen als auch nützlichen Gebrauchskeramik, die vor allem durch ihre spontane Farb- und Mustergebung auffällt. Hier erkennt man, dass sich der Künstler den Gegenstand angesehen und sich spontan ein schlichtes aber schönes Muster ausgedacht hat. Daher gleicht kaum ein Gegenstand dem anderen. Natürlich ist das nichts für Ordnungs- und Uniformitätsfanatiker. |
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Das meistverwendete Muster auf Keramik aus Grottaglie ist ein Hähnchen mit hoch erhobenem Kopf, schwellender Brust und aufgerissenem Schnabel. Diesen Gesellen entdeckt man in allen Werkstätten in unterschiedlichen Formen und Farben, wobei die Farbgebung aus gelb, orange, rot und blau die traditionellere Variante darstellt, wie man sie u.a. bei Cosimo Vestita oder Trami auf Schüsseln, Tellern sowie Essig- und Ölgefäßen wiederfindet. Die Werkstatt Bentivoglios jedoch hat sich einem moderneren Stil verschrieben und fertigt Tonwahren, die vom urtümlichen traditionellen Stil sowohl in Form als auch in Bemalung abweichen. Daher ist es mir jedes Mal ein Vergnügen, stundenlang in den Verkaufsräumen der zahlreichen Werkstätten nach Nützlichem, Dekorativen, nach Geschenken und Dingen, die in meinen Besitz übergehen, zu stöbern und dabei das besondere Flair dieses historisch verbliebenen doch sich der Moderne nicht verschließenden Ursprungs Grottaglies zu genießen. |
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Neben dem Schloss, zahlreichen Kirchen und Palazzi hat Grottaglie und ganz Süditalien noch eine Kleinigkeit zu bieten, die man zu schätzen beginnt, wenn sich nach Sightseeing und Keramikshopping schließlich der Hunger einstellt. Die Küche dieser Gegend ist ausgesprochen mediterran. Als typischen ersten Gang hat es mir „fave e cicorie“ angetan, das ein Püree aus Saubbohnen darstellt und mit gekochtem Zichorie sowie reichlich Öl verspeist wird. Traditionell ist auch die Pasta „orechiette“ (Öhrchen), die mit Rape (undefinierbares aber leckeres Grünzeug) gegessen wird. |
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Als zweiten Gang gibt es oft Lamm oder Pferd – beides leicht gewöhnungsbedürftig. Lamm weist einen charakteristischen Eigengeschmack und -geruch auf, der mir weniger zusagt, und beim einzigen Pferdesteak meines Lebens kam auf jeden Bissen Fleisch ein halbes Glas Wein, so dass es mir zum Schluss schon fast egal war, was ich aß. Doch zum Glück kann man auch auf gefüllte Auberginen oder Fisch ausweichen. Und Pizza erhält man sowieso überall. Köstliches Obst wie Kaktusfeigen, Feigen und Trauben bereichern das Mahl und als Nachspeise gibt es diverse Gebäckspezialitäten. |
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Die genannten Gerichte kann ich auf jeden Fall empfehlen. Bei Restaurants wird es schon schwieriger, da wir es bei unseren Ausflügen aufgrund der Nähe zu Ostuni immer bis zum heimischen Wochenendherd zurück geschafft haben. Wenn man jedoch der Hauptstraße folgt, finden sich in unmittelbarer Nähe des Schlosses einige Restaurants, in denen man auch die regionaltypische Küche probieren kann. |
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Wenn ich das nächste Mal in Süditalien bin, dann werde ich auf jeden Fall wieder nach Grottaglie fahren. Daher kann ich allen denen, deren Reiseweg ebenfalls in die Gegend führt und die dann auf der Suche nach einem typischen Stück Apuliens oder einem besonderen Geschenk für Mütter, Omas sowie Keramikfreunde sind, einen Aufenthalt in den „Quartiere delle Ceramiche“ und um Grottaglie herum empfehlen.
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