Das Hörspiel kürzt behutsam den ersten von Doyle als Erzählung statt als Kurzgeschichte verfassten Text, in welchem der Autor zum einen ausführlich auf die Methodik und die Charakteristik des Detektivs eingeht und zum anderen einen langen Mittelteil einflicht, der die Hintergrundgeschichte der Morde an Drebber und dessen Assistenten Stangerson erzählt. Die Kürzungen verlangen auch nach dem Kompromiss, nur einen Scotland Yard Beamten statt ursprünglich zweier einzusetzen. So tritt im Hörspiel lediglich der aus den bisher erschienen Folgen bekannte, oftmals zu selbstsichere Inspektor Lestrade auf. Einer spannenden Umsetzung der vielen Dialogteile der Erzählung zur Liebe werden die ursprünglich als Berichte in der Bakerstreet abgelieferten Teile des Plots für die Hörspielfassung oftmals in aktive Ermittlungen umgeschrieben. So wird die Geschichte des Verdächtigen Carpentier nicht von Inspektor Gregson berichtet, sondern Lestrade, Holmes und Watson ermitteln gemeinsam bei den Carpentiers, deren Sohn unter Mordverdacht steht. Und auch wenn Holmes' Tierversuche mit Giftpillen am bereits halbtoten Terrier seiner Wirtin in unserer politisch korrekten Zeit in Reagenzglasforschung umgemünzt werden, kann man sich der humorvollen Umsetzung der Geschichte um Liebe und Rache nicht entziehen. Wie der von Holmes' Aktionen und Deduktionen leicht verwirrte Watson wird man mit jeder Minute mehr und mehr zum Bewunderer des exzentrischen Detektivs.
Kaum hat sich der Hörer damit abgefunden, dass er vielleicht schlauer als Dr. Watson sein, aber niemals an die Intelligenz eines Sherlock Holmes heranreichen kann, wird er in "Der griechische Dolmetscher" bereits mit der Tatsache konfrontiert, dass der scheinbar familienlose Holmes einen Bruder hat, der von diesem als noch viel intelligenter gerühmt wird. Der mysteriöse Mycroft, welcher selbst zu träge und menschenscheu für den Beruf eines beratenden Detektivs ist, macht Holmes und Watson mit dem Entführungsfall seines Wohnungsnachbarn Mr. Melas, seines Zeichens namhafter griechischer Dolmetscher, bekannt. Auf der Suche nach dem unbekannten Gefangenen, für dessen Kidnapper Mr. Melas übersetzt hat, liefern sich Mycroft und Holmes immer wieder Deduktionsduelle, bis es ihnen zum Schluss zwar gelingt, Mr. Melas vor dem sicheren Tod zu retten, für den Gefangenen jedoch jede Rettung zu spät kommt.
Der dritte Fall der Collection zeigt den großen Detektiv einmal mehr als mit überragender Intelligenz ausgestatteten Beobachter, der als Einziger die wie Kinderzeichnungen anmutenden Zettel mit tanzenden Strichmännchen als Geheimschrift zu deuten weiß und diese sogar entschlüsselt. Auch hier kann der Mord nicht mehr verhindert werden. Doch während die Täter im "Griechischen Dolmetscher" unerkannt entkommen und auf anderen Wegen bestraft werden, wird der Urheber der "tanzenden Männchen" gefasst und kann seiner gerechten Strafe zugeführt werden. Erneut hat der Meisterdetektiv die Ordnung in London wiederhergestellt und lässt den Hörer mit einem befreienden Gefühl des Vertrauens in Gerechtigkeit zurück.
Sehr sympathisch erscheinen die kleinen Wortgefechte zwischen Holmes und Watson über nicht eingehaltene Essenszeiten, Beziehungen zu Frauen und die Unordnung, welche der Detektiv in der gemeinsamen Wohnung zu hinterlassen pflegt. Als Hörer sieht man unweigerlich ein "altes Ehepaar" vor sich, das seine spitzen Bemerkungen auf einem sprachlich hohen und übertrieben höflichen Niveau abfeuert. Die Sprecher klingen überzeugend, aber vor allem den Hauptsprechern (Christian Rode und Peter Groeger) meint man in solchen Szenen den Spaß bei der Arbeit anzuhören. Diese Momente bilden einen witzigen Gegensatz zur düsteren Stimmung der Fälle, die unter anderem durch wiederholten Regen, Gewitter und knarrende Balken als Hintergrundgeräusche unterstrichen wird.
Damit passt die Collectors Edition wunderbar zu dunklen Wintertagen, an denen man sich ganz wie Sherlock Holmes mit einer Tasse schwarzen Tees (selbstverständlich mit Milch, ohne Zucker) auf das Sofa kuscheln und vom Alltag abschalten möchte. Die umrahmende jazzige Musik hat einen hohen Wiedererkennungswert und stimmt mit ihren dramatischen Bläsern gut auf die Geschichten ein. Einziges Manko auch dieser 4-CD-Box ist ein fehlendes Booklet mit Hintergrundinformationen, zu denen man eine Auflistung der Sprecher und ihrer Rollen oder Fotos aus dem Arbeitsprozess ebenso zählen könnte wie die Einordnung der Geschichten in den Werkkanon Arthur Conan Doyles. Eine Fehlpressung der Box, in welcher sich zwar alle genannten Hörspiele, jedoch mit einem falschen Schriftaufdruck auf den CDs befinden, wurde laut Verlagsangaben inzwischen zurückgezogen, so dass der Kauf dieses kurzweiligen Hörvergnügens uneingeschränkt empfohlen werden kann.
Besetzung:
CD 1 & 2: Eine Studie in Scharlachrot
Sherlock Holmes: Christian Rode
Dr. Watson: Peter Groeger
Inspektor Lestrade: Volker Brandt
Stamford: Norbert Gastell
Jefferson Hope: Torsten Münchow
Contable Rance: Hans Georg Panczak
sowie: Pascal Breuer, Manfred Erdmann, Dagmar Dempe, u.v.a.
CD 3: Der griechische Dolmetscher
Sherlock Holmes: Christian Rode
Dr. Watson: Peter Groeger
Inspektor Lestrade: Volker Brandt
Mycroft Holmes: Nils Clausnitzer
Mr. Melas: Andreas Borcherding
Mr. Davenport: Fritz v. Hardenberg
Harold Latimer: Torsten Münchow
Wilson Kemp: Norbert Gastell
CD 4: Die tanzenden Männchen
Sherlock Holmes: Christian Rode
Dr. Watson: Peter Gröger
Mrs. Elsie Cubitt: Dagmar Dempe
Hilton Cubitt: Horst Sachtleben
Dr. Anderson: Michael Habeck
Inspektor Martin: Michael Schwarzmaier
Peters: Andreas Borcherding
Mrs. Saunders: Sandra Schwittau
Mrs. King: Susanne Meikl
Abe Slaney: Torsten Münchow
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