Von suizidgefährdeten Patienten und anderen kniffeligen Kriminalfällen

(Doyle, Arthur Conan: Sherlock Holmes Collectors Edition III, Maritim / Verlagsgruppe Hermann, 2006, ISBN: 3-938597-75-5)

Ein scheinbar an Verfolgungswahn leidender Patient wird ermordet. Der König von Böhmen wird von einer ehemaligen Geliebten erpresst. Der junge McFarlane beteuert hartnäckig seine Unschuld in einem Mordfall, obwohl zahlreiche Beweise gegen ihn sprechen. Und der amerikanische Anwalt John Garrideb sucht Namensvettern, mit denen gemeinsam er eine millionenschwere Erbschaft antreten möchte. Auch für die dritte Ausgabe von Maritims "Sherlock Holmes Collectors Edition" haben sich die Macher wieder vier spannende Abenteuer aus dem reichhaltigen Fundus von Conan-Doyles Kurzgeschichten um den Meisterdetektiv Sherlock Holmes ausgesucht, um sie in ein kurzweiliges Hörspielerlebnis zu verwandeln.

Der Verpackungsaufdruck spricht zwar von einem Hörbuch, doch handelt es sich hier tatsächlich um bearbeitete Hörspielfassungen, welche die Geschichten auf vier CDs teilweise verkürzt, umgestellt und auch in den handelnden Personen verändert wiedergeben. So tritt in "Der Patient" (ursprünglich "Der niedergelassene Patient") statt Inspektor Lanner der wesentlich bekanntere Scottland-Yard Inspektor Lestrade auf. Möglicherweise wurde diese Veränderung vorgenommen, um die Collectors-Serie auf weniger Personen zu reduzieren. Allerdings ist Lestrade, der in dieser Fassung im Unterschied zum Originaltext rein gar nichts zur Aufklärung beiträgt, eigentlich geistig wendiger als Lanner. Auf die schrittweise Auflösung des Rätsels um den niedergelassenen Patienten wird zugunsten der Spannung verzichtet. So erfährt der Hörer erst zum Schluss, dafür aber sehr ausführlich von der Vorgeschichte des Patienten. Doktor Watson mutet ebenfalls gefräßiger an, als er eigentlich ist. Doch schlägt Watsons Nörgeln über eine unterbrochene Mahlzeit einen humorvollen Rahmen um die eigentliche Mordgeschichte.

Auch in "Der Baumeister aus Norwood" werden dem Hörer Informationen vorenthalten, die Conan Doyle schrittweise in den Text eingebaut hatte. So hat Holmes die Tageszeitung nicht erhalten, aus denen er bereits Informationen entnommen hat, bevor McFarlane in der Baker Street eintrifft, und auch die Tatsache, dass das Testament in Eile und im Zug geschrieben wurde, wird dem Hörer vorenthalten. Diese Reduktion wird an anderen Stellen mit der Betonung weiterer Hinweise, welche für McFarlanes Unschuld sprechen, ausgeglichen, so dass das Hörspiel trotz der Reduktion der Fakten spannend bleibt. Inspektor Lestrade wirkt in seiner Selbstsicherheit sehr überheblich, obwohl Conan Doyle den eigentlichen Holmes-Bewunderer erst im Laufe des Falles etwas anmaßend werden lässt, weil Holmes weiterhin alle Fakten ignoriert, die McFarlane auf erdrückende Weise schuldig aussehen lassen. Doch auch Sherlock Holmes wirkt selbstsicherer, als Conan Doyle es für seinen Meisterdetektiv geplant hatte, denn die Szene, in welcher Holmes McFarlanes Mutter besucht und von Zweifeln gebeutelt nach Hause zurückkehrt, wurde weggelassen. Holmes' Hang zu dramatischen Auftritten wird außer zu Beginn der Geschichte ein weiteres Mal am Schluss boykottiert, als die Hörspielfassung behauptet, die verborgene Tür, wäre nicht zu finden gewesen, während Sherlock Holmes sein Verhalten in der ursprünglichen Geschichte als "kleine Fopperei" und Revenge geplant hatte.

Die Kurzgeschichten Conan Doyles sind trotz der Notwendigkeit von Textumstellungen für Hörspielfassungen prädestiniert, da sie bereits viel szenisches Schreiben enthalten. Außerdem wurden für die dritte Kollektion Geschichten ausgewählt, die aus der Vielzahl der Serie herausstehen. In "Ein Skandal in Böhmen" wird der große Detektiv, der den Intellekt von Frauen gemeinhin zu unterschätzen pflegt, von einer Frau übertölpelt, für die er künftig die größte Hochachtung empfinden wird. Auch zeigt sich das Gerechtigkeitsverständnis des Autors, denn der untreue König, welcher mit den Gefühlen von Irene Adler gespielt hat, wird damit bestraft, dass der Betrug in der Vergangenheit in sein aktuelles Leben einbricht und ihn zu ruinieren droht.

In "Der Baumeister aus Norwood" zeigt sich, dass Conan Doyle in seinen Geschichten die zur damaligen Zeit neuesten kriminalistischen Methoden verarbeitet. Hier ist es die Überführung des Täters durch den Fingerabdruck und gleichzeitig die damit verbundene Problematik der Fälschung eines vorgeblich so todsicheren Beweises.

"Die drei Garridebs" ist die schwächste Erzählung der Sammlung, da recht bald klar wird, dass die Geschichte um die Erbschaft erlogen sein muss, man als Hörer bzw. Leser jedoch nicht die geringste Chance hat, das Rätsel eventuell noch vor dem Detektiv oder wenigstens vor Watson zu lösen, da der wichtigste Hinweis bis ganz zuletzt auch vor Watson geheim gehalten wird. Allerdings zeigt die Geschichte ebenfalls, dass der scheinbar müßig in den Tag hinein lebende Sherlock Holmes gelegentlich an seine Finanzen denken und Geld verdienen muss.

Die Storys werden jeweils von einer stimmigen Musik eingeleitet und abgeschlossen, welche die nebeligen Abende in London und eine geheimnisvolle Stimmung heraufbeschwört. Auch größere szenische Pausen werden mit musikalischen Einschüben markiert. Gelegentlich erinnert diese Begleitmusik an "Pink Panther" oder die Themen der Edgar-Wallace-Soundtracks. Man könnte sich hier allerdings passender auch klassische Musik (Sherlock Holmes angemessen etwa Violinen) statt der jazzig anmutenden Töne vorstellen. Andere Hintergrundtöne wie knisterndes Feuer, Schritte, Türgeräusche werden sparsam eingesetzt. Die größte Aufmerksamkeit genießen die Sprecher. Sherlock Holmes wird überzeugend von Christian Rode (die deutsche Stimme von Christopher Plummer, Craig T. Nelson und Leonard 'Spock' Nimoy) gesprochen, der den Meisterdetektiv auch in zahlreichen anderen Hörspielfassungen spricht. Peter Groeger (Stimme von Armin 'Quark' Shimerman) spricht den Watson mit einem leicht ironischen Unterton; was häufig zu einem netten Geplänkel zwischen den beiden führt, das die analytische Denkmaschine Holmes recht menschlich erscheinen lässt. Alles in allem sind die Hörspiele sehr gelungen und eine kurzweilige Unterhaltung für feucht-nebelige Herbsttage nicht nur in London, sondern auch in Deutschland.

Besetzung:

CD 1: Der Patient

Sherlock Holmes: Christian Rode
Dr. Watson: Peter Groeger
Insp. Lestrade: Volker Brandt
Dr. Percy Trevelyan: Kai H. Möller
Mr. Blessington: Volker Bogdan
Graf Alexander Wolnikow: Peter Weis
Dimitri Wolnikow: Henry König
Kutscher: Thomas Karallus, Hans Sievers

CD 2: Ein Skandal in Böhmen

Sherlock Holmes: Christian Rode
Dr. Watson: Peter Groeger
König von Böhmen: Fritz von Hardenberg
Irene Adler: Dagmar Dempe
Godfrey Norton: Torsten Münchow
Stallbursche: Oliver Mink
Haushälterin: Ursula Vogel
Reverend: Edgar Bessen
des weiteren: Johannes Steck, Ulf Söhmisch, Michael Schwarzmaier

CD 3: Der Baumeister von Norwood

Sherlock Holmes: Christian Rode
Dr. Watson: Peter Groeger
John Hector McFarlane: Hubertus von Lerchenfeld
Mrs. McFarlane: Ursula Vogel
Mr. Jonas Oldacre: Manfred Erdmann
Direktor: Ulf Söhmisch

CD 4: Die drei Garridebs

Sherlock Holmes: Christian Rode
Dr. Watson: Peter Groeger
Inspektor Lestrade: Volker Brandt
Nathan Garrideb: Edgar Bessen
John Garrideb: Michael Schwarzmaier
Mr. Holloway: Torsten Münchow
Polizist: Manfred Erdmann


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veröffentlicht auf buchwurm.info, 2008
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