Von Baskerville Hall über Birmingham nach Reigate

(Doyle, Arthur Conan / Wakonigg, Daniela: Sherlock Holmes Collectors Edition VI, Maritim / Verlagsgruppe Hermann, 2008, ISBN: 3-86714-100-2)

Auch im Jahr 2008 haben die Macher der Maritim-Hörspielserie um Sir Arthur Conan Doyles Meisterdetektiv Sherlock Holmes weiter an der Adaption der kompletten Sammlung von Kurzgeschichten und Erzählungen gearbeitet. Daher versammeln sie erneut drei spannende Fälle auf den vier CDs ihrer sechsten "Sherlock Holmes Collectors Edition".

Mit der durch zahlreiche Buchausgaben und Verfilmungen wohl bekanntesten Sherlock-Holmes-Geschichte "Der Hund der Baskervilles" ("The Hound of the Baskervilles", 1901) wagt man sich erneut an die Adaption einer längeren Erzählung Doyles, welche von 1901 bis 1902 als Fortsetzungsroman in Doyles Stammblatt The Strand erschien und noch vor dessen Abschluss in der Zeitung als Buchformat herausgegeben wurde, damit neugierige Leser nicht länger auf die Auflösung des Falles um den fluchbelasteten Erben Henry Baskerville warten mussten. Wenn Holmes und Watson scherzen, dass sie in jüngster Zeit ein Fall um den anderen in die Region Dartmoor treibt, verweist die Hörspielserie bereits auf sich selbst, denn erst in der zuletzt erschienen Bearbeitung der Kurzgeschichte "Silberpfeil" ("The Adventure of Silver Blaze", 1892) auf der "Collectors Edition V" hatten der Detektiv und sein Kompagnon das Verschwinden eines Rennpferdes und den Tod dessen Trainers im Dartmoor aufzuklären, und auch in "Die Internatsschule" ("The Adventure of the Priory School") waren sie auf den Spuren eines Kidnappers im Moor unterwegs.

Der "Hund der Baskervilles" hingegen illustriert auf hervorragende Weise das Vertrauen des jungen Doyle in die Rückführbarkeit aller mysteriöser Vorgänge auf eine erklärbare und rationale Ursache. Das Moor, welches den Landsitz der Familie umgibt, ist durch seine Unzugänglichkeit bereits geheimnisumwittert, so dass es für die Einheimischen naheliegt, dass der Höllenhund zurückgekehrt sein und auch den letzten Herrn auf Baskerville getötet haben muss - zumal die Fußspuren eines Hundes in der Nähe des Leichnams gefunden wurden. Da man nun um das Leben des vermeintlich einzigen Erben Sir Henry fürchtet, ruft man Sherlock Holmes zur Hilfe. So wird der angebliche Höllenhund - mit dem die Baskervilles geschlagen sein sollen, seit ein Vorfahre zur Strafe für die Jagd auf ein Mädchen, das ihm nicht zu Willen sein wollte, von einem Hund zerfleischt wurde - als eine mit Phosphor zum leuchten gebrachte Kreuzung aus Bluthund und Dogge enttarnt. Natürlich steht außer Frage, dass der Detektiv nicht nur das Rätsel um den Höllenhund, sondern auch das um den aus dem Gefängnis entflohenen Mörder lösen wird, der sich im Dartmoor versteckt hält und als falsche Fährte für den kriminalisierenden Leser eingeführt wurde.

Mit dem Schauspieler und Synchronsprecher Walter von Hauff (Sir Henry Baskerville) und alten Bekannten wie Melanie Manstein (u. a. Lady Hilde Hope aus "Der zweite Fleck") oder Volker Brandt, der in den anderen beiden Geschichten "Der Angestellte des Börsenmaklers" ("The Adventure of the Stockbroker's Clerk",1893) und "Der Landadel von Reigate" ("The Adventure of the Reigate Squires", 1893, gelegentlich auch "The Reigate Puzzle" genannt) erneut als Stimme des Scotland-Yard-Inspektors Lastrade auftritt, haben die Herausgeber den Hauptsprechern Christian Rode (Holmes) und Peter Groeger (Watson) wie immer sehr überzeugende Sprecher zur Seite gestellt. Aus der Arbeitsprobe, die man am Schluss des Abenteuers um Hall Pycroft erhält, wird auf amüsante Weise deutlich, dass es nicht immer einfach ist, die englischen Namen auszusprechen, ohne sich zu verhaspeln. Und obwohl die Sprecher sich tatsächlich nicht so recht entscheiden zu können scheinen, ob Hall Pycroft nun "Hall" (wie von Holmes und Pycroft selbst) oder "Hell" (wie von Dr. Watson und Mr. Pinner) ausgesprochen wird, ist das Hörspiel von den Machern auch im aktuellen Diskurs um die Bankenkrise und Börsenspekulationen aktualisiert und mit witzigen Seitenhieben auf die Branche ausgestattet worden: "Ob man den Leuten auf der Straße oder an der Börse das Geld aus der Tasche zieht, macht eigentlich keinen großen Unterschied, oder?" "Immer nur die Kurse studieren, ein Händchen für Zahlen und Geld, ein bisschen Talent - und schon kann das jeder Dummkopf." Allerdings geht man für diese Späßchen und das väterliche Verhältnis zwischen Holmes und Pycroft relativ frei mit dem Holmes-Universum um, denn Doyle gibt keinen Hinweis darauf, dass Pycroft in seinen Kinderjahren Mitglied der Baker-Street-Bande war und sein Berufsstand eigentlich als logische Fortführung seines Lebens auf der Straße gewertet wird.

In "Der Landadel von Reigate" wird wieder einmal besonders deutlich, dass die Hörspielmacher Holmes' und Watsons Verhältnis wie das eines alten Ehepaares darstellen möchten, das durch Watsons Überbesorgnis hinsichtlich des Gesundheitszustandes seines Freundes Holmes sowie Holmes' Lamentieren über dessen Besorgnis charakterisiert wird. Man meint, den Schalk in den Augen der Sprecher sehen zu können, wenn sie sich gegenseitig mit kleinen Sticheleien zu übertölpeln suchen. Abgesehen davon illustriert die Geschichte der Cunninghams, die in einem Rechtsstreit mit ihrem Nachbarn Mr. Acton um ein beträchtliches Stück Land stehen, einmal mehr, wie Doyle neuste Erkenntnisse aus der Kriminalistik seiner Zeit für seine Kurzgeschichten verwendet hat, denn Sherlock Holmes überführt die Mörder nicht nur durch gekonnte schauspielerische Einlagen, sondern vor allem mit Hilfe der Untersuchung ihrer Handschriften.

Klanglich stehen die Hörspiele dieses Teils der "Collectors Edition" den Vorgängern in nichts nach. Man hat sich des Öfteren sogar für Violinenklang statt Jazztrompeten als Zwischenspiele entschieden, was gut mit Holmes' Leidenschaft für das Geigenspiel korrespondiert. Alles in allem merkt man trotz Handlungsumstellungen, Kürzungen und kleinen Veränderungen den Hörspielen die Begeisterung der Mitwirkenden für die klassischen Detektivgeschichten Sir Arthur Conan Doyles an, so dass die "Collectors Edition VI" einmal mehr 268 Minuten Hörvergnügen bedeutet.


Besetzung:

CD1+CD2: Der Hund der Baskervilles

Sherlock Holmes: Christian Rode (Christopher Plummer, Leonard 'Spock' Nimoy, Telly 'Kojak' Savalas)
Dr. Watson: Peter Groeger (Armin 'Quark' Shimerman)
Sir Henry Baskerville: Walter von Hauff (Michael Moore, Chow Yun-Fat)
Dr. James Mortimer: Crock Krumbiegel (Connor Trinneer, Kevin Bacon)
Mr. Alfred Stapleton: Thomas Karallus (Kevin James in "King of Queens")
Miss/Mrs. Beryl Stapleton: Melanie Manstein (Linda Park, 'Fantaghiro')
Mr. John Barrymore: Christian Mey
Mrs. Eliza Barrymore: Roswitha Benda
Mr. Frankland: Michael Schernthaner (Woody Harrelson)
Mrs. Laura Lyons: Jo Kern
Rezeptionist: Norbert Gastell (Robert 'Cornelius Fudge' Hardy, 'Homer Simpson')
Kutscher (Clayton): Michael Habeck (Oliver Hardy, 'Barney Geröllheimer', 'Ernie', Danny DeVito)
Postmeister: Andreas Borcherding (Dan Shea)
Richard Selden: Gerhard Acktun ('Smithers' in "Die Simpsons")

Siehe ergänzend hierzu auch unsere Rezension der Romanvorlage.

CD3: Der Angestellte des Börsenmaklers

Sherlock Holmes: Christian Rode
Dr. Watson: Peter Groeger
Lestrade: Volker Brandt (Michael Douglas)
Mr. Hall Pycroft: Ole Pfennig (Will Arnett)
Mr. Arthur / Harry Pinner: Udo Schenk (Ray Liotta, Kevin Bacon, Ralph Fiennes)
Mr. Mawson: Helmut Krauss (Marlon Brando, James Earl Jones)
Mrs. Haricot: Daniela Hoffmann (Julia Roberts)
Postbote: Gerhard Acktun
Gerichtsmediziner: Ernst Meincke (Patrick Stewart)
Zeitungsjunge: Wolfgang Bahro (Steve Burton)

CD4: Der Landadel von Reigate

Sherlock Holmes: Christian Rode
Dr. Watson: Peter Groeger
Inspektor Forester: Norbert Langer (Burt Reynolds, Tom Selleck)
Colonel Hayter: Crock Krumbiegel
Mr. Cunningham senior: Ernst Meincke
Mr. Alec Cunnigham, sein Sohn: Philipp Brammer (Giovanni Ribisi, Jason Priestley)
Mrs. Kirwan: Roswitha Benda
Benson: Fritz von Hardenberg (Tim Allen)
Polizist: Thomas Kästner (William 'Krebskandidat' Davis)
Kutscher: Norbert Gastell (Robert 'Cornelius Fudge' Hardy, 'Homer Simpson')


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veröffentlicht auf buchwurm.info, 2009
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