Durch einen Anruf alarmiert, macht er sich sogleich heldenhaft auf, um seine Freundin aus dem einstürzenden Südturm zu retten und in den Folgewochen ein Video zu erjagen, das die Unschuld seines Mandanten beweist. Während er von Schuldgefühlen Eve gegenüber und auch gegenüber seiner ehemaligen Lebensgefährtin Stine sowie dem gemeinsamen autistischen Sohn, welchen er in Wien zurückgelassen hat, und nicht zuletzt von Alpträumen geplagt wird, gerät er zudem ins Visier der amerikanischen Terrorermittler, was ihn schließlich mitten hinein ins Schützenfeuer des Israel-Palästina-Konfliktes führt.
Wie man an dieser äußerst knappen Zusammenfassung des Plots bereits erkennen kann, sind die Figuren des dänischen Autors Stig Dalager in sämtlichen sozialen und politischen Problemkreisen der aktuellen Zeitgeschichte verankert. Backsgaard lebt als moderner Nomade auf verschiedenen Kontinenten. Hin- und hergerissen zwischen den unterschiedlichen Welten und zwei Frauen, weiß er weder, wo er seine Heimat verorten soll, noch, wem tatsächlich sein Herz gehört. Außerdem ist ihm deutlich bewusst, dass er der Verantwortung für sein Kind nur unzureichend nachkommt. Eve versucht in Amerika den Gespenstern zu entkommen, die sie aus der Lebensgeschichte ihres Vaters geerbt hat, der in Israel lebt und dort seine Zeit in Auschwitz verdrängt. Ein Arzt, der Eve im Krankenhaus betreut, hat im Golfkrieg gekämpft und ein Trauma davongetragen. Natürlich wird auch Amerikas große Wunde, der Vietnamkrieg, angesprochen, und als sei das noch nicht genug an Zündstoff, versetzen sich die Figuren in ihren Träumen in andere Figuren hinein, so dass der Leser unter anderem auch noch Osama Bin Laden in seiner Höhle begegnet.
Auch mit Hilfe der gewöhnungsbedürftigen Wahl des Präsens wird der Leser durch einen 330 Seiten währenden Strudel der Ereignisse gewirbelt und muss dabei versuchen, den roten Faden des Romans im Auge zu behalten, was sich durch die Vielfalt an Themen, Nebenfiguren und Handlungsorten nicht immer einfach gestaltet. Doch wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen, und so kann jeder Leser über das politische Ereignis nachsinnen, das ihn am meisten bewegt. Aus weiblicher Perspektive hebt man bereits bei Backsgaards heroischer Rettungsaktion aus dem brennenden Hochhaus zweifelnd eine Augenbraue und kann zum Schluss nur noch den Kopf schütteln, wenn er sich auf der Suche nach dem Hamas-Terroristen Zawawi in den israelischen Kugelhagel wirft.
Der nüchterne Sprachstil aus kurzen Sätzen, präzisen Dialogen und knappen Beschreibungen klingt auf den ersten Seiten noch analytisch und vertrauenswürdig, so als könne er Erklärungen bieten oder würde zu Wahrheiten führen. Doch er verspricht mehr, als er halten kann. Es gibt in diesem Buch keine Erklärungen, keine Gewinner und keinen befriedigenden Erfolg des Ermittlers Backsgaard. Auch er ist am Schluss wieder nur unterwegs auf einem neuen Weg ins Ungewisse. Der Leser ahnt Akte-X-mäßig dunkel, dass die Wahrheit irgendwo da draußen ist. Aber das Schattenland hat sich längst zu einer Schattenwelt ausgedehnt, deren Dunkelheit auch Fiktion nur partiell erhellen kann.
Mit "Im Schattenland" bietet der Eichborn-Verlag eine gute Möglichkeit, sich mit dem Werk eines der bedeutendsten dänischen Autoren der Gegenwart bekannt zu machen. Viele seiner über 40 Prosawerke, Gedichtbände und Drehbücher wurden international herausgebracht bzw. aufgeführt. So hat er sich beispielsweise in "Zwei Tage im Juni" (Kiepenheuer, 2004) der Thematik des Stauffenberg Attentats auf Hitler angenommen oder in "Das Labyrinth" (Picus, 2007) seinen Anwalt Jon Backsgaard in die rechtsextreme Szene von Wien geschickt. Mit "Im Schattenland" und seinen anderen politischen Thrillern nimmt sich der studierte Literaturwissenschaftler Problemen der aktuellen Zeitgeschichte an und bietet handwerklich gut gemachte Unterhaltung.
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