"…wollte Gott ich wäre gewesen, was?" (Enrik Lauer und Regine Müller: Mozart und die Frauen, Lübbe, S.315, ISBN 3-7857-2054-8) Der Name „Mozart“ weckt unzählige Assoziationen: Klassische Melodien werden lebendig. Reiselustige denken sofort an Salzburg. Naschkatzen verbinden den Namen mit Süßigkeiten. Filminteressierte sehen mit den Augen von Milos Foreman einen albernen Frauenhelden und begnadeten Musiker vor sich. „Wunderkind“ denken die einen; „Lüstling“ die anderen. Doch wer war dieser Mozart wirklich? |
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Anlässlich des Mozartjahres 2006 nähern sich der studierte Germanist, Philosoph und Pädagoge Enrik Lauer und die freie Journalistin Regine Müller, die unter anderem Musik studierte, dem prominenten Geburtstagskind auf eine Weise, die Mozartbiografien in den Vorjahren so nicht boten. „Mozart und die Frauen“ beleuchtet das Leben des Wunderkindes ausgehend von der Bedeutung der Frauen in seinem Leben. Von der Rolle der Mutter, welche ihn liebevoll aufzog und trotz Entbehrungen seine musikalische Begabung bereits frühzeitig förderte, über seine Schwester Anna Maria, deren eigene überragende musikalische Begabung aufgrund der Rollenerwartungen an Frauen im 18. Jahrhundert hinter der Mozarts zurückstehen musste, bis zu den vier Weberschwestern und seiner langjährigen Muse Nancy Storace spannt das Autorenduo den Bogen der Portraits von Frauen, die Mozarts Leben wesentlich prägten. Lauer und Müller beziehen sich bei ihrem Recherchematerial unter anderem auf Mozartbiografien, werten jedoch vor allem die erhaltenen Brief der männlichen Seite der Familie Mozart aus. Sie versuchen die Aussagen zu extrahieren, die etwas über die Bedeutung ebenjener Frauen aussagen. Die noch hilfreicheren Briefe der weiblichen Seite wurden in der Familie Mozart nicht archiviert und sind größtenteils verloren gegangen. Auf diese Art gelingt es ihnen, die Klischees zu umschiffen, welche die Literatur bisher bestimmen. Dabei erfährt man nicht nur viel über Mozarts Leben sondern auch über die gesellschaftlichen Gepflogenheiten seiner Zeit. Das Schicksal der Frauen wird über ihre Zeit mit Mozart hinaus beleuchtet und offenbart deutlich die Grenzen der Selbstbestimmung von Frauen sowohl auf der Ebene der professionellen musikalischen Karriere, als auch im Hinblick auf die Moralvorstellungen, Vorstellungen von Mutterschaft, Ehe und eigenständiger Lebensführung. So versauert die ebenso talentierte Schwester in einer Vernunftehe in tiefster Provinz, die Mutter stirbt in Paris, wo sie sich für das gesellschaftliche Fortkommen ihres Sohnes einsetzte. Selbst das Leben der Sängerin Aloysia Weber – Schwester der späteren Ehefrau Mozarts – findet ein trauriges und einsames Ende, obwohl sie eine bedeutende Karriere in Europa vorweisen konnte und über einen langen Zeitraum befruchtend auf Mozarts kompositorische Tätigkeit wirkte. Selbst das emanzipierte Leben Mozarts impulsiver „Seelenverwandten“ und ebensolchen Wunderkindes Nancy Storace endete abseits der beruflichen Karriere. Auch sie nahm wie viele Frauen in Mozarts Umfeld ein trauriges Ende in einem leeren Leben ohne gesellschaftliche Höhepunkte auf dem Land. Das umfangreichste Kapitel des Buches ist Mozarts Ehefrau Constanze Weber gewidmet, welche das Bild ihres Mannes nach dessen Ableben maßgeblich prägte, indem sie nur die Informationen preisgab, die sie im Sinne ihres Mannes für richtig hielt. In den Abschnitten über das gemeinsame Leben der Eheleute Mozarts erfährt man viel über alltägliche Dinge des damaligen Lebens – über die Haushaltsführung, über die Zwänge der Gesellschaft und über das Theater dieser Zeit. Die Autoren räumen mit dem Vorurteil einer verschwendungssüchtigen Frau, die nur das Geld ihres Mannes verprasst hat, gründlich auf. Anhand ihrer Recherchen wird schnell deutlich, was es bedeutet haben muss, zu Mozarts Zeiten einen Haushalt mit unregelmäßigem Einkommen zu führen, sechs Kinder zu bekommen und vier davon in schneller Folge wieder zu verlieren. Da verwundert es nicht mehr, wenn viel Geld für die medizinische Versorgung z.B. im Sinne von Bäderkuren ausgegeben werden musste. Auch wer bisher die Mär vom begnadeten Genie, das in Armut starb, geglaubt hat, wird von den Autoren eines Besseren beleert werden. Sie orientieren sich in ihrem Buch an den verbürgten Tatsachen und vermeiden es, die Lücken in Mozarts Biografie mit Spekulationen auszuschmücken. Besonders deutlich wird das in dem Kapitel über das „Bäsle“, in welchem sie anhand der erhalten gebliebenen erotisch geprägten Briefe Mozarts herauszufinden versuchen, wie viel Erotik im tatsächlichen Leben zischen den beiden wirklich stattgefunden hat. Diese Sachlichkeit und objektive Herangehensweise sowie der offene Umgang mit Quellen gepaart mit einer flotten populärwissenschaftlichen Schreibe führen zu einem amüsanten, spannenden und lebendigen Porträt über den Menschen und Künstler Mozart. Sie scheuen sich nicht davor, die Briefe deutlich zu kommentieren. So findet man zu Mozarts ausschweifenden Ergüssen ans Bäsle Kommentare wie „ellenlange, aber völlig sinnfreie Anekdote“ oder „Ein erstaunlicher, atemberaubender, fast schon irrer Text. Sein Autor ist entweder völlig naiv – und dabei doch mit überirdischer poetischer Intuition gesegnet. Oder er ist gnadenlos abgefeimt.“ In den letzten Jahrzehnten wird die Bedeutung von Frauen in der Wissenschaft und den Künsten ins Blickfeld der wissenschaftlichen Forschung gerückt. Die Herangehensweise an das Leben Mozarts über die Biografien von Frauen in dessen Umfeld, die auch immer als Personen in ihrer Zeit gesehen werden müssen, zeigt zudem auf, dass Frauen bis zu einem gewissen Grad wichtigere Rollen im sozialen und beruflichen Netzwerk großer Männer dieser Zeit gespielt haben. Auch im wissenschaftlichen Sinne ist daher „Mozart und die Frauen“ aktuell und lesenswert. Wem nach mehr als 300 Seiten in dem von Lübbe liebevoll gestalteten Buch mit Teils farbigen Abbildungen und Goldprägung auf dem Buchrücken sowie den Abdrucken der wichtigsten analysierten Briefe noch nach mehr Mozart ist, dem haben die Autoren in einem Anhang ihre Quellen aufgelistet. Außerdem sind im Jahre 2006 weitere Bücher über Mozart und sogar über die Frauenthematik in Mozarts Leben erschienen. Exemplarisch dafür sei Melanie Unselts „Mozarts Frauen. Begegnungen in Musik und Liebe“ (Rowohlt) genannt. |
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