Die Autoren Hermann Laage und Norbert Roedel beschäftigen sich in ihrem Sachbuch „Operation Noyade. Der letzte Flug des Antoine de Saint-Exypéry in den Vercors“ mit der beruflichen Seite des berühmten Schriftstellers, dem hartnäckig der Mythos des geheimnisvollen Entschwindens anhängt. 30 Jahre lang haben sie, die dereinst als Mitglieder der Kriegsgräberfürsorge einen Geschwaderkameraden Saint-Exupérys bargen, eine Fülle an Material zusammengetragen, und entwickeln Szenarien dessen, was dem wagemutigen und erfahrenen Kampfpiloten und Geheimdienstmitarbeiter tatsächlich zum Verhängnis geworden sein könnte.
Dabei geht das Buch weit über das pure Interesse am Menschen Saint-Exupéry hinaus. Die mit der Bundesluftwaffe vertrauten Autoren reiten ihr Steckenpferd, wenn sie genau die Funktionsweise sowie die Schwierigkeiten und Tricks im Umgang mit den damaligen Flugzeugen erklären, so dass man fast meint, man habe selbst mal eines geflogen. Sie beschreiben die politische Lage in den Kriegsgebieten und ziehen Augenzeugenberichte heran, um die Beschreibungen für die Leser so plastisch wie möglich zu gestalten. Dabei knüpfen sie ein Netz aus Informationen, die glaubhaft erscheinen lassen, dass Saint-Exupéry bei einer geheimen Rettungsaktion von Partisanen aus der Gegend um Grenoble beteiligt gewesen war. Sie widersprechen damit der vorherrschenden Meinung, dass der Autor im Mittelmeer abstürzte, und verfolgen eine Spur bis nach Korsika, wo ein baugleiches Flugzeug mit drei Personen an Bord abgestürzt oder abgeschossen und anschließend gesprengt worden war.
Wie in einem guten Krimi ergeben die vor den Augen des Lesers zusammengesetzten Puzzleteile nach und nach ein logisches Bild. Der Krieg wird weniger als Kampf gegen die Nazis als vielmehr eine von Intrigen und inneren Machtkämpfen der Siegermächte gekennzeichnete Zeit beschrieben. Die Sehnsucht des Schriftstellers Saint-Exupéry nach der einfachen, überschaubaren und märchenhaften Welt des „Kleinen Prinzen“ wird somit nachvollziehbar. Die Autoren selbst halten sich mit Wertungen zurück und versuchen, die Berichte für sich wirken zu lassen. Am Ende müssen sie jedoch eingestehen, dass sie nicht nur mögliche Antworten gegeben, sondern auch viele neue Fragen aufgeworfen haben. Nicht zuletzt verlässt man sich am Schluss des Buches als letzte Instanz auf die Aussage eines patriotischen Korsen, welcher der französischen Regierung unterstellt, dass sie ihn umbringen würde, wenn er seine Kenntnis um das Grab von Saint-Exupéry öffentlich mache. Damit nimmt die spannende Geschichte ein Ende, welches ein beklemmendes „Traue niemandem!“- und „Die Wahrheit ist irgendwo dort draußen!“-Gefühl zurücklässt.
Der Popularität der Werke Saint-Exupérys schadet das Geheimnis um seinen Tod mit den immer wieder aufflammenden Spekulationen oder auch mit ernsthaften Forschungen wie „Operation Noyade“ nicht. Laage und Roedel haben versucht, Licht in die letzten Tage des Berufspiloten aus Leidenschaft zu bringen. Wer sich generell für Saint-Exupéry interessiert, wird zunächst zu einer Biografie greifen und „Operation Noyade“ hintanstellen, zumal es die Detailverliebtheit der Autoren den Lesern nicht leichtmacht, bei der Stange zu bleiben. Es ist gewiss kein Buch für zwischendurch, sondern verlangt Konzentration und permanentes Mitdenken. Dennoch lohnt es sich: Ein Autor von Spionageromanen könnte sich kaum besseren Stoff ausdenken als diesen, den das Leben geschrieben hat.
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