Ostuni (Italien)
Wieder einmal brauche ich eine Auszeit vom hektischen Leben der italienischen Großstadt Bari, in welcher der Verkehrslärm abgesehen von der Zeit zwischen 14 und 16 Uhr, in der sich die Italiener ihren täglichen Mittagschlaf gönnen, nie leiser wird. Daher beschließen wir mit den Eltern meines Freundes in deren italienische Version des Schrebergartens nach Ostuni zu flüchten. Luigi findet es insgeheim langweilig dort – ich kann es an seinem Gesicht ablesen. Doch mit mir und seinem Laptop wird er vier Tage „Landleben“ überstehen.
Von Bari aus geht es also für ein verlängertes Wochenende über die Autobahn in Richtung Brindisi (Stadt). Nach einer halben Stunde verlassen wird die Autobahn, fahren durch das Itria-Tal den Hinweisschildern nach Ostuni folgend. Ich kann mich nicht satt sehen am exotischen Anblick von staubiggrünen Olivenbäumen auf rostroter Erde hinter niedrigen Mäuerchen aus Tuftgestein und Schiefer. Hinter ihnen erheben sich dunkle Berge gen Himmel.
Immer wieder taucht unvermittelt ein Trullo auf, eine typische Häuserart für die diese Gegend berühmt ist. Ich würde am liebsten bei jedem anhalten, um ein Foto zu machen. Trulli könnte man ohne Weiteres als in Steinhäuser verwandelte Nomadenzelte der Frühgeschichte bezeichnen: kleine geduckte Häuser, deren rundes Schieferdächer weiße Spitzen und oft weißgekalkte Zeichen wie Kugeln oder Kreuze tragen. Hier draußen zwischen den Olivenbäumen dienen sie als Schuppen. Man nutzt die etwas größeren von ihnen jedoch als Wohnhaus, dabei stehen meist mehrere Häuschen nebeneinander, da ein Haus immer nur einen Raum hat.
Wer die Chance bekommt, ein solches Häuschen von innen zu betrachten, sollte sie nutzen. Obwohl sie von außen recht klein wirken, bieten sie im Inneren doch reichlich Platz und sind sehr gemütlich besonders, wenn das Dach mit Holzbalken durchzogen ist, an denen Zwiebel-, Pepperonchini- und Knoblauchzöpfe baumeln oder ein auf der nahe liegenden Farm gekaufter, frischer Scamorza (Käse) zum Trocknen aufgehängt wurde. DIE Stadt der Trulli überhaupt und zugleich ein Thema für sich ist jedoch Alberobello.
Wie immer bin ich überwältigt von dem Anblick, der sich mir bietet, als sich nach einer Kurve plötzlich ein blenden weißer Hügel vor unseren Augen hoch über die Olivenbäume erhebt. Ich muss blinzeln, obwohl ich eine Sonnebrille trage. Wir haben Ostuni erreicht. Näher kommend erkennt man, dass es nicht der Berg ist, der dort weiß erstrahlt, sondern die sich rund um den Hügel herum auftürmenden, weiß getünchten Häuser mit Außentreppen und Terrassen. Und über all dem thront die gelbe Kathedrale mit ihrer spätgotischen Fassade und dem barocken Innenleben.
Luigis Eltern diskutieren seit einer Ewigkeit das Mittagsmenü und beschließen freimütig, uns auf dem dreieckigen Hauptplatz von Ostuni abzusetzen, Einkäufe zu erledigen und uns zum Mittagessen um 2 (!!!) wieder abzuholen. Ich bin nicht zum ersten Mal hier und so erkenne ich an der aragonesischen Stadtmauer aus grauem Stein, dass wir uns der mittelalterlichen Altstadt nähern.
Auf dem Platz grüßt uns der Schutzpatron der Stadt Bischhof Sant’Oranzo von seiner hohen Stele herab bereits wie alte Bekannte. Wir biegen von der Hauptsraße in eine Seitengasse ein, in der die Außenwände mit Keramik, Tüchern und anderen Souvenirs behängt sind und darauf hinweisen, dass sich dort kleine Shops befinden, die das Touristenherz höher schlagen lassen.
Wendet man sich nun nach rechts oder links, befindet man sich schon mitten drin im Gewirr aus schmalen Gässchen mit Bögen, Treppen, altertümlichen Laternen und Wäscheleinen. Es empfiehlt sich, sich hügelaufwärts zu bewegen, denn so gelangt man hin und wieder an eine Gasse, die urplötzlich zu Ende ist oder aber in eine Treppe hügelabwärts übergeht und einen wunderbaren Blick auf tiefer liegende Olivenhaine und das Meer erlaubt. Mit einer Wasserflasche an der Seite kann man sich hier getrost Verlaufen. Vom Meer her weht ein kühler Wind, so dass man die zu sich genommene Flüssigkeit nicht gleich wieder verliert und am Ende gelangt man doch wieder auf die Touristenstraße. Hier findet man die von mir geschätzte Keramik aus Grottaglie sowie aus der sizilianischen Stadt S.Stefano di Camastra. Anhand von sizilianischen Keramikfischen zum an die Wand hängen/ schrauben stelle ich fest, dass die Marktwirtschaft hier gut funktioniert. Als ich die meinen im letzen Jahr kaufte, wurden sie gerade aus ihren Lieferkartons ausgepackt und der Verkäufer wusste noch nicht so recht, welchen Preis er nehmen sollte. In diesem Jahr kosten sie bis zu 5 Euro mehr als damals. Da muss mal schon zu handeln versuchen.
Der Verkaufshit für die Weiblichkeit heißt in diesem Jahr eindeutig „Panta-Pareo“ und ist ein Pareo in Hosenform, der vorn und hinten gebunden wird. Im Vergleich zum Wickelrock hat er den Vorteil, dass frau auch von heftigem Wind nicht völlig entblößt wird, sondern nur die gebräunten Beine zeigt. Es gibt ihn in dezenten aber auch in schreiend bunten Farben und als Strand- und Freizeitkleidung scheint er bei jugendlichen aber auch reiferen Frauen unverzichtbar zu sein.
Ostuni ist eine ruhige Stadt. Partygänger würden wohl eher enttäuscht sein. Die Leute, die im Sommer hierher kommen, wollen entspannen und im Meer baden. Im Winter dürfte die Stadt wohl ziemlich ausgestorben sein. Am 26. August allerdings findet jedes Jahr ein Fest zu Ehren des Schutzpatrons der Stadt statt, zu dem auch aus dem umland die Leute herbeiströmen. Das Heiligenbild es Bischofs wird in einer feierlichen Prozession durch die Stadt getragen und dabei von einer farbenprächtigen Reitereskorte begleitet. An diesem Tag herrscht einiges Gedränge und ausgelassene Volksfeststimmung.

Die Stadt hat sich inzwischen ausgedehnt und „Neubauviertel“ sind hinzugekommen. Hier finden sich Lebensmittelläden und andere Geschäfte, in denen man preisgünstiger einkauft. An Samstagen finden Märkte statt, auf denen man das eine oder andere Schnäppchen machen kann. Kostet der oben erwähnte Panta-Pareo in der Altstadt 20 Euro so nimmt man auf dem Markt nur fünf dafür. Daher sollte man es in Italien immer den Einheimischen gleich tun und Märkte den Geschäften vorziehen.

Campingplätze gibt es auch in dieser Gegend an der Adriaküste in reichem Maße. Preislich sollte man sich jedoch darauf gefasst machen, dass man für vier Personen, ein Auto und ein Zelt für eine Nacht 60 Euro hinblättert. Wenige Kilometer von Ostuni entfernt liegt auch das Grand Hotel Masseria Santa Lucia, in dem man ab 560 Euro pro Woche nächtigen und essen kann. Kleinere Hotels sind in der Umgegend verstreut und sicherlich preiswerter. Mich hat diese Frage allerdings noch nie betroffen, denn wie auch an diesem Tag gelangen wir mit dem Auto, das mit Trinkwasser aus einem Brunnen in der Stadt, Nahrungsmitteln und uns selbst beladen ist, in die „Schrebergartengegend“.

Hier reihen sich Grundstücke mit schätzungsweise 1000 bis 2000 qm aneinander, die überwiegend nur im Sommer bewohnt werden. Auf ihnen befinden sich Blumen, Oliven-, Feigen-, Mandel- und Obstbäume und das Sommerhaus der Besitzer. Da die meisten Leute hier in fortgeschrittenem Alter sind (sprich: Rentner), verbringen sie den ganzen Sommer, sowie Teile des Frühlings und Herbstes hier draußen. Daher gleichen die Häuser voll eingerichteten eingeschossigen Einfamilienhäusern ohne Keller, dafür aber mit einer üppigen Terrasse und mehreren Anbauten. Die Küchen sind wegen der Wärmentwicklung beim Kochen meistens in einem solchen Anbau untergebracht. Wasser fängt man über den Winter in großen Becken unter den Häusern auf. Wasserleitungen gibt es zu den Gartenhäusern nicht, daher holt man Trinkwasser in großen Kanistern aus der Stadt. Strom ist vorhanden und so kann – wie in Italien anscheinend üblich – in jedem Zimmer, inklusive der Küche ein Fernseher laufen.
Der Altersstruktur entsprechend verläuft das Leben in Ostuni ruhig – auch hier in den Gartengebieten. Man trifft sich auf ein Schwätzchen, verbringt viel Zeit mit Kochen, Essen und über das Essen reden. Natürlich fährt man baden. Für alle Sonnenanbeter und Freunde des nassen Elements ist die Gegend um Ostuni ideal. Hier findet man endlose Sandstrände hinter Dünen versteckt. Das Meer ist nicht nur azurblau und klar, sondern zudem familienfreundlich flach. Erst nach einigem Laufen verliert man den Boden unter den Füßen.
Außerdem kann man von Ostuni Tagesausflüge in andere kleine Städtchen wie z.B. Cisternino oder Ceglie Messapico unternehmen. Nahe Ceglie Messapico befinden sind sehenswerte Tropfsteinhöhlen. In manchen alten Gutshöfen, denen man unterwegs begegnet sind Restaurants eingerichtet, die typische Gerichte der Gegend anbieten.
Und wenn man dann einen Tag am Meer oder mit einer Entdeckungsreise in das Umland verbracht hat, ist man froh, wenn man gegen Mitternacht erschöpft ins Bett sinken kann und man einmal nichts anderes hört als das Zirpen der Grillen. Daher kann ich Ostuni allen empfehlen, die nach einem anstrengenden Arbeitsjahr ihren verdienten Urlaub in Ruhe genießen wollen und mit einem Auto ausgestattet sind.
 
  veröffentlicht auf ciao.com, 2004
Copyright © 2004 Corinna Hein