Palermo (Italien)
Drei Tage sind seit der Rückkehr aus Palermo vergangen. Das Rauschen in meinen Ohren hat nachgelassen. Die Souvenire der palermitischen Blutsauger jucken nicht mehr so sehr, und vier Filme befinden sich im Fotolabor zum entwickeln. Daher kann man Palermo im August wie folgt charakterisiseren: laut, verMückt und mit viel Sehenswertem ausgestattet.
Für eine Woche verschlug es mich mit drei Italienern in die silzilianische Hauptstadt und ihre weitere Umgebung, da die Eltern meines Freundes gute Bekannte in Palermo haben, die noch dazu ein Haus praktisch mitten im Zentrum der Stadt ihre eigenen nennen. Daher kamen wir in den zweifelhaften Genuss am Piazza Indipendenza direkt am Palazzo Reale, einer der arabisch-normannischen Hauptattraktionen Palermos, zu wohnen. Sofern es einem gelingt bei 25-30 Grad Celsius des Nachts ein Auge zu schließen, wird man morgens um acht Uhr mit der italienischen Nationalhymne in der Blasmusikversion der örtlichen Kaserne geweckt. Wenn am Wochenende die Instrumente schweigen, besorgen Dutzende umliegende Kirchen den Weckservice mit Glockengeläute. Daher schlage ich Reisenden, die ein Hotel buchen wollen, vor, sich vorher genau über die Lage zu informieren.
Ab ca. neun Uhr kehrt das Leben zurück in die Straßen. Wagt man sich den Corso Vittorio Emanuele hinunter, zu dessen rechter und linker Hand sich die begehrtesten Sehenswürdigkeiten befinden, wird man schnell feststellen, dass man sich dem abgebrühten italienischen Verhalten im Straßenverkehr anschließen muss, um vorwärts zu kommen. Die enge Straße mit, ihren hohen Häusern, einem unablässigen Verkehrsstrom an Autos, Motorrädern, Pferdekutschen und Fußgängern (auch auf der Fahrbahn) hat mich bei unserer Ankunft fast erschlagen. Panikartig klammerte ich mich beim Überqueren der Straße an den Arm meines Freundes, bis sich endlich das notwendige „mir doch alles egal“-Gefühl einstellte, das zum stressfreien Überleben in italienischen Großstädten notwendig ist. Dann schlenderte ich kreuz und quer von Kathedrale zu Kirche, zu Brunnen und wieder zu Kirchen, ohne natürlich die diversen Souvenirshops (sizilianische Keramik ist DER Renner) und Spezialitätenläden aus den Augen zu verlieren.

Meine italienischen Freunde zog es vor allem in die Capella Palatina des Palazzo Reale und in den monumentalen Sakralbau der Kathedrale Maria Santissima Assunta. Beide Gebäude strotzen nur so vor Prunk und Protz und lassen zusammen mit dem Touristenmeer betrachtet weniger das Gefühl einer erhabenen Gottesnähe als vielmehr Beklemmung aufkommen. Erholung und Ruhe bietet erst der wunderschön-urige Garten der kleinen Kirche San Giovanni degli Eremiti, der mit nur wenigen Schritten vom Palazzo Reale aus zu erreichen ist.

Hier kann man sich getrost auf einem Bänkchen, einer Treppenstufe oder sogar auf dem Mäuerchen des Kreuzganges niederlassen, um von der Hektik der Außenwelt abzuschalten. Hat man dann genug geruht, sollte man sich vom Besitzer des kleinen Ladens direkt an der gegenüberliegenden Straßenecke mit Proben typisch sizilianischer Spirituosen für den weiteren Weg stärken. Sehr empfehlen kann ich den Likör aus Kaktusfeigen, die in der Region Ficci D’innia genannt werden und sonst überall Ficci di India heißen. Anscheinend sind die Bewohner Palermos so etwas wie die Sachsen Italiens, denn meine Mitreisenden amüsierten sich des Öfteren über den lokalen Dialekt.

Auf dem Weg den Corso hinunter in Richtung Hafen trifft man weiterhin etwas rechts abgelegen auf die kleine Kirche San Cataldo, deren Innenleben man sich für einen Euro unbedingt anschauen sollte, denn gegenüber der barocken Pracht der Überzahl der Kirchen Palermos und auch ihrer Nachbarkirche La Martonara wirkt das Zusammenspiel von Mosaikfußboden, antiken Säulen und Kreuzgewölbe in seiner Schlichtheit umso beeindruckender.

Linker Hand des Corso Vittorio Emanuele in die Via Roma eingebogen findet man schnell den Eingang zu einem der ältesten Märkte Palermos – dem Vucciria.

Zwischen ziemlich kaputten Häusern und Müll an jedem freien Platz drängen sich auf engem Raum Stände mit Obst und Gemüse, mit Fisch und allerlei Gewürzen. Auch CD’s (hunderprozentig raubkopiert) und Haushaltswaren lassen sich hier erstehen.Der Geruch ist nicht immer betörend, und wer genug vom Markt hat, sollte sich wieder mehr nach links schlagen, um zu verschiedenen sehr idyllischen Gärtchen zu gelangen. Der Garten der Gardino Garibaldi wartet mit zwei mächtigen Bromelien auf.

Falls dort jemand auf einen älteren Italiener trifft, der behauptet, er habe 40 Jahre in Kalifornien gelebt und wäre beim FBI gewesen, der sollte sich vom italienischen Charme und seinen drei Brocken Deutsch nicht einwickeln lassen. Hinter meinem Rücken versicherte er meinem Freund nämlich, er wisse ganz genau, dass die Deutschen ein trickreiches Volk seien und deswegen könne er sie nicht leiden. Zum Glück hat sich mein Freund davon nicht beeindrucken lassen und liebt mich weiter so wie bisher.

Wer eine typische und sehr sättigende Köstlichkeit Siziliens zu sich nehmen möchte, dem sei ein Abstecher zur Villa Giulia empfohlen. Das ist nicht, wie ich zunächst annahm, ein großes Haus sondern ein Garten mit beeindruckenden Hybiskussträuchern und anderen für das deutsche Auge exotischen Pflanzen. Viel wichtiger jedoch ist die kleine Bar und Pasticceria „Touring“ in der man Arancine kaufen sollte.
Da es uns mehrere Male dorthin verschlug, kann ich von Selbsttest her versichern, dass diese frittierten Reisbällchen in etwa der Größe einer Orange mit verschiedenen Füllungen eine der besten Dinge in Palermo sind. Es gibt sie mit vier Käse (leider nicht sonntags), mit Spinat, Lachs, Schinken, Rucola, Hackepeter, Ragou oder Pilzen. Bei großem Hunger schafft man vielleicht zwei davon unter den Bäumen in Villa Giulia zu verzehren, bevor man sich in den anliegenden botanischen Garten aufmachen kann. Praktischer Weise verfügt dieser über mehrere Frischwasserbrunnen, denn die Hitze in Palermo verwandelte nicht nur mich sondern auch meine Begleiter in wahre Kamele, die Wasser tranken, wann immer sich die Gelegenheit dazu bot.
Natürlich hat Palermo neben Hitze, Verkehr und den o.g. Dingen noch mehr zu bieten. Keinesfalls sollte man sich eine Aufführung im Puppentheater entgehen lassen. Entlang des Corso Vittorio Emanuele gibt es mindestens zwei davon. Wir wählten „Vincenzo Argento e figli“ in der Via Novelli gleich gegenüber der Kathedrale.

Der Eintritt von 8 Euro für 45 Minuten hat sich mehr als gelohnt, denn geboten wurde nicht nur eine Aufführung, sondern Argento selbst erzählte zunächst etwas von der Tradition des Puppentheaters, das sich seit drei Generationen in der Familie befindet, über die Herstellung der Puppen und die Tradition der Stücke. Mit meinem eher dürftigen Italienisch habe ich die wesentlichen Dinge verstanden, u.a. dass eine solche etwa 1m hohe Puppe bekleidet 10 Kilo wiegt. Bis zu dem Moment nach der Vorstellung, in dem ich den Hauptakteur des Stückes in Händen halten durfte, war mir jedoch nicht klar, was das bedeutet. Dann allerdings verstand ich, warum die beiden Puppenspieler nach einer Aufführung, in der zwei Ritter um der Gunst der schönen Angelika Willen ein ganzes feindliches Heer niedermetzelten, den Backstagebereich schweißgebadet verließen.

Versorgungstechnisch ist man in Palermo am besten dran, wenn man sich selbst versorgen kann, so wie wir es taten. Backwaren sind vergleichsweise günstig. So zahlten wir für acht große Brötchen 1,50 Euro und für den Belag aus Schinken und Käse in einem Supermarkt noch einmal 3 Euro. Für ein Mittagessen bei einem Strandausflug war das bereits ausreichend. Die Strände direkt in der Nähe Palermos (z.B. nahe der Isola delle Femine) gleichen Müllkippen. Andere bestechen durch Felsbrocken, an denen man sich leicht die Gliedmaßen aufschaben kann, was ziemlich eklig brennt und eher schwer verheilt. Um genussvoll zu baden empfiehlt es sich z.B. nach Cefalù oder Terrasini zu fahren.
Mitten im kleinen Ort Terrasini führt eine leicht baufällige Treppe eine Klippe hinunter zu deren Füßen sich ein Sandstrand ausbreitet. Die Besonderheit des Stranden ist jedoch die Tatsache, dass etwa 10m vom Strand entfernt, das Wasser im ruhigen Zustand nur etwa 80cm tief ist, jedoch Wellen von mehr als einem Meter Höhe angerollt kommen. Von überall hört man daher Jauchzen, Quietschen und Lachen. Nur am Strand aalen sich lautlos die Erschöpften unter der heißen Sonne Siziliens.
Ruhiges, klares und kühles Wasser findet man am Strand vor der alten Stadtmauer Selinunts auf der anderen Seite der Insel nur 1 ½ Autostunden von Palermo entfernt. Wer also nach einer Besichtigung des dortigen Ausgrabungsgebietes von antiken Steinbrocken, Tempeln und Elektrobussen die Nase voll hat, der kann einen Badenachmittag einlegen, bevor er nach Palermo zurückkehrt. Näher an Palermo liegt jedoch Segesta – ebenfalls eine antike Stadt, die vor allem mit ihrem Theater beeindruckt, in dem man während des Sommers zahlreiche Aufführungen erleben kann.
Für alle Tauchfreaks eignen sich die Inseln, die man von Trapani aus erreichen kann. Wir steuerten Favignana an, die mit dem Schnellboot in 20 Minuten zu erreichen ist. Für 30 Euro kann man dort mit einem Führer auf Tauchstation gehen, muss die Ausrüstung allerdings selbst mitbringen. Die Cousine meines Freundes und deren Mann hatten allerdings Pech mit dem Wetter, so dass sie nur im eher sicheren Bereich der Insel tauchen konnten. Trotzdem zeigten sie sich begeistert über die Vielfalt an Fischen und den Kraken, der jetzt sicherlich nach Afrika auswandern wird, nachdem ihn 10 Taucher betatscht und fotografiert haben.
Die kühleren Spätnachmittags- und Abendstunden eigenen sich hervorragend zu einem Bummel durch die sich aneinanderreihenden Geschäfte in den Hauptstraßen. Gerade jetzt im August und wohl auch noch im September überschlagen sich Schuh- und Klamottengeschäfte mit Rabatten bis zu 70%. Außerdem verlagern auch in Palermo Pizzerien und Restaurants ihren Betrieb auf die Fußwege, so dass man so manches Glas Wein oder ein Abendessen unter freiem Himmel genießen kann. Ruhe kehrt in die Stadt jedenfalls erst weit nach Mitternacht ein. Das ist dann die Zeit, in der man im Bett liegt und versucht, sich vergeblich der Mücken zu erwehren, die Hitze und hohe Luftfeuchte zu ignorieren und zwischen sich und dem Partner einen Abstand von mindestens 20cm einzuhalten. Frisch Verliebten kann ich daher nur empfehlen ihre Urlaubsziel mehr den Erdpolen anzunähern.
Ansonsten kann ich nur sagen, dass man von der gefürchteten sizilianischen Mafia nicht viel merkt. Wohl hallten einige Schüsse durch die Nacht. Diese müssen jedoch nicht zwangsweise im Zusammenhang mit dem organisierten Verbrechen gestanden haben. Allerdings hängt mir eine gewissen Naivität an, die mich auch in Russland die dort angeblich lauernden Gefahren nicht erkennen und sie an mir vorüber gehen ließ. Meinen inzwischen sehr lang gewordenen Bericht möchte ich nun aber endgültig mit dem Zitat des Satzes schließen, den ich von meinen italienischen Freunden während der einen Urlaubswoche täglich mehrere Male zu Gehör bekam: „Das einzig wahre Problem von Palermo ist der Verkehr!“ Das kann man doppeldeutig lesen – und es stimmt so oder so.
 
  veröffentlicht auf ciao.com, 2004
Copyright © 2004 Corinna Hein