"Die größte Verschleierungsaktion der Geschichte!"

(Brown, Dan : Sakrileg, Lübbe, 2004, S. 605; ISBN 3785721528)

Jesus war verheiratet und hatte Nachkommen deren Linie, sich bis heute fortsetzt. Die katholische Kirche arbeitet seit Jahrhunderten daran, dieses Wissen zurückzuhalten sowie Beweise dafür zu vernichten - so liest man es im aktuellen Roman „Sakrileg“ (orig. „The Da Vinci Code“, 2003) des amerikanischen Bestsellerautors Dan Brown, der bereits mit seinem Roman „Illuminati“ weltweit für Furore sorgte.

Dan Brown, Sohn eines Mathematikprofessors und einer Kirchenmusikerin, arbeitete als Englischlehrer, bevor ihm mit seinem Roman „Illuminati“ - einer Mischung aus Action, Wissenschaft und Geschichte – der literarische Durchbruch gelang. Während sein erster Roman immer noch in den internationalen Bestsellerlisten zu finden ist, schoß „Sakrileg“ in den USA sofort an die Spitze und ist auch in Deutschland seit Wochen die Nummer 1.
Um die Spannung des Thrillers zu erhalten, soll hier nicht zu viel vom Plot wiedergegeben werden. Robert Langdon, Symbologe aus Harvard, befindet sich wegen eines Gastvortrages in Paris. Er wird zum Schauplatz des Mordes an Jaques Sauniére (Kurator des Luvre) gerufen, ohne zu ahnen, dass dieser Hinweise auf Werke Leonardo da Vincis hinterlassen hat, die seinen eigenen gewaltsamen Tod erklären, auf eine finstere Verschwörung hindeuten, aber zugleich auch Langdon als Täter belasten. Die Hinweise des Ermordeten ergeben den Anfang einer kodierten Schatzkarte, und bevor es sich Langdon versieht, wird er in die Suche nach dem Heiligen Gral hineingezogen, bei der er tatkräftige Unterstützung durch Sophie Neveu, einer Kryptologin der Pariser Polizei und Enkelin des Ermordeten, erfährt.
Brown vermittelt dem Leser hier auf unaufdringliche Weise ein breites Wissen über religiöse Geheimorganisationen, vermeintliche Verschleierungstaktiken, Mythologien und heidnische Symbole und Riten. So sollen verborgene Zeichen und Symbole in Leonardo da Vincis Werken auf den Heiligen Gral hindeuten und wie die gnostischen Evangelien die These vom verheirateten Jesus stützen. Die Geheimorganisation Prieuré de Sion, deren Führungsmitglieder neben da Vinci weitere berühmte Personen des öffentlichen Lebens wie Boticelli und Isaac Newton gewesen sein sollen, schützt das Wissen um die „wahre Identität“ von Jesus und seinen Nachkommen. Zugleich ist die annähernd 1000 Jahre alte Organisation jedoch bestrebt, das Wissen an „würdige Menschen“ (d.h. solche, die in der Lage sind ihre Codes zu lesen und richtig zu interpretieren) zum Beispiel in der Form von da Vincis kodierten Bildern weiterzugeben.
Dem gegenüber stehen die Kirchen und die erzkonservative Organisation des Opus Dei, die sich vom Besitz des Heiligen Grals einen immensen Einfluss auf den Vatikan verspricht, der nötig ist, um den Papst davon abzuhalten, der Organisation die Kirchenrechte zu entziehen, die sie sich mit einer Finanzspritze an den Vatikan während einer finanziellen Zwangslage erschlichen hat. Sie beklagt den Werteverfall in der katholischen Kirche, die sich ihrer Meinung nach zu sehr an die dekadente heutige Zeit angepaßt hat, und ist bestrebt, mit dem Gral die eigene Macht auszubauen und über die der katholischen Kirche zu erheben.
Vom Besitz des Grals versprechen sich viele vieles – die Kirchen Macht und Machterhalt, die Prieuré de Sion Schutz und das Bewahren des Wissens für die Enthüllung in der Öffentlichkeit zu gegebener Zeit, die Wissenschaftler Ruhm und Klarheit; und Sophie Neveu ist ganz nebenbei noch auf der Suche nach der Enthüllung ihres Familiengeheimnisses, denn ihr Schicksal scheint ursächlich mit dem des Grals verknüpft.
Aber was ist nun dieser Gral? Der Abendmahlskelch Jesu? Ein Code? Informationen über Jesus wahre Identität? Oder gar die sterblichen Überreste der Maria Magdalena? Oder alles zusammen und noch viel mehr? Ich sage nur: LESEN! Der Stil des Romans ist mit übersichtlichen Sätzen so einfach gehalten, dass dieses Buch das Attribut „page turner“ zu recht erhalten hat. In 105 kurzen spannenden Kapiteln plus Prolog und Epilog, die ich an einem Nachmittag und Abend verschlungen habe, meint man der Lösung des Geheimnisses immer näher zu kommen, bis man am Ende gar glaubt, den Gral selbst in den Händen halten zu können. Noch dazu eröffnen die Theorien, die Brown hier präsentiert, vielfältige Möglichkeiten zur Diskussion über die Rolle der Frau, Feminismus, Sex und deren Zusammenhang mit der Kirche. Außerdem würde Jesus als verheirateter Vater auch die Notwendigkeit des Zölibats erheblich in Frage stellen. Daher ist die Übersetzung des englischen Titels bei diesem Roman einmal sehr gelungen. Nicht nur als „Sakrileg“ sondern auch als fehlerbeladene armselige Effekthascherei kritisierten Rezensenten und Mitmenschen dieses Buch. Dabei darf man jedoch nicht vergessen, dass es sich hier um Fiktion handelt, deren Bestandteile im Rahmen der Geschichte ein durchaus glaubhaftes und harmonisch übereinstimmendes Bild abgeben, in der Realität jedoch hinterfragt werden müssen
Die Aufmachung des Buches lohnt die Anschaffung für knapp 20 Euro. Unter dem schwarz-rot gehaltenen Schutzumschlag kommt ein ebenso in schwarz-rot gehaltener fester Pappeinband zum Vorschein. Beide geben ein Symbol wieder, dessen Bedeutung für den Roman zentral ist und einen wesentlichen Bestandteil der im Roman wiedergegebenen Theorien darstellt. Den vorderen und hinteren Umschlagteil zieren Karten von Paris und London, die es dem Leser ermöglichen, sich hinsichtlich der Handlungsschauplätze besser orientieren zu können. Unter den Kapitelüberschriften begegnen dem Leser immer wieder Symbole, deren Bedeutung nach dem Lesen kein völliges Rätsel mehr sind. Die im original belassenen Rätsel des Romans werden unaufdringlich am unteren Rand übersetzt. Alles in allem ein Buch, das seinen Bestsellerstatus verdient hat. Da verzeiht man dem Autor auch, dass er ganz zum Schluss seiner atemberaubend Jagd doch etwas zu dick aufgetragen hat.
 
  veröffentlicht auf ciao.com, 2004
Copyright © 2004 Corinna Hein