Elegante Einführung ins Welttheater

(Soboczynski, Adam: Die schonende Abwehr verliebter Frauen, Gustav Kiepenheuer / Aufbau, Juli 2008, ISBN: 3-378-01100-9)

Grünes Kunstleder, geprägte Schrift und ein Bordeaux gefärbter Schnitt - Kiepenheuer hat sich eine auffällige, aber nicht aufdringliche Aufmachung für Adam Soboczynskis neues Werk einfallen lassen, welche ganz den Menschentyp widerspiegelt, den der Autor recht zynisch aber durchaus witzig propagiert. Zunächst mutet das Buch als Ratgeber in Sachen Lebensführung an, wollen die 33 Geschichten doch zeigen, "wie sich in einer Welt geschickt zu verhalten sei, in der Fallen lauern und in der Intrigen walten", und beispielhaft in die "Kunst der Verstellung" einführen. Solchermaßen findet man bereits auf der hinteren Umschlagseite die Zehn Gebote der Verstellungskunst, mit deren Hilfe sich der Leser in der Fertigkeit, ein gewünschtes Bild von sich so darzustellen, dass man seine Ziele erreicht, vervollkommnen können soll.

In den Geschichten findet der Leser Typen wie den leicht zu durchschauenden Herr Walter, den hochnäsigen Hochschulprofessor, die Mutter, der es immer wieder gelingt, ihrem Sohn Schuldgefühle einzureden, unglücklich verliebte Menschen, Menschen, die sich die Liebenden eher von Hals halten möchten - sie tauchen im Laufe der Geschichten immer wieder auf und werden somit in einem vielfältigen Beziehungsgeflecht gezeigt, das sich dem Leser ganz wie im richtigen Leben nicht beim ersten Auftreten, sondern erst nach einem längeren Beobachtungszeitraum erschließt. Sie allen spielen laut Soboscynski "Welttheater", um andere zu schonen, damit sie ihnen in Zukunft nicht schaden können, und/oder um sich der Konkurrenz gegenüber Vorteile zu verschaffen.

Dieses Bild der Welt und der in ihr handelnden Personen greift auf die Ideen des Barockzeitalters zurück. Der Autor verweist mehrmals auf die Theorien des Balthasar Gracián, dessen Leitfaden für die höfische Benehmenskultur "Handorakel und Kunst der Weltklugheit" (1653) er auf die Gegenwart zu übertragen versucht. Beiden Autoren geht es darum, den Lesern zu zeigen, dass man seine Affekte beherrschen muss, um den richtigen Schein aufzubauen und zu wahren sowie stets das gewünschte Bild von sich zu zeigen. Dieses Ideal der gekonnten Verstellung wurde im Laufe der Jahrhunderte von der bürgerlichen Kultur mit ihrem Ideal der Innerlichkeit und der Aufrichtigkeit der Gefühle abgelöst. Soboczynski zeigt in anspruchsvoller, geschliffener, gelegentlich vielleicht etwas zu umständlicher Sprache, dass jedoch gerade in der heutigen Zeit, in der sich jeder Mensch in einer Vielfalt von Beziehungsgeflechten und Abhängigkeiten befindet, diese Verstellungskunst aktueller ist denn je. Menschen, die sie anwenden, steigen auf; wer sich dieser Verhaltensregeln nicht beugt, ist laut Soboczynski zum Scheitern verurteilt. Der Zyniker wird begeistert nicken, der Romantiker sich angewidert abwenden.

Tatsache ist jedoch, dass das Individuum in einem sozialen Netz agiert, in dem es beständig gezwungen ist, bestimmte Rollen auszufüllen. Auf der anderen Seite muss jeder Mensch seine Ziele im Leben und die Art und Weise, diese zu erreichen, noch immer für sich selbst definieren. Nicht jeder ist für jede Rolle geeignet, die letztendlich mit dem Selbstbild korrespondieren muss, damit man sie überzeugend ausfüllen kann. Somit bildet das Buch den Auslöser, sich des Rollenspiels in vielen Bereichen des Lebens bewusst zu werden, um erfolgreich mitspielen zu können - oder in Momenten, in denen es dem Individuum näher an seinem Selbst erscheint, aus solchen Rollenspielen auszusteigen. Auch der Volksmund weiß, dass man sich im Leben immer zweimal trifft, dass es aus dem Wald hinausschallt, wie man hineinruft etc. "Die schonende Abwehr verliebter Frauen" erinnert an den Wahrheitsgehalt solcher Aussagen und daran, sich dessen zu besinnen, damit man so handeln kann, dass man sich keine Optionen verbaut. Die postmoderne Gesellschaft ist dabei jedoch so vielfältig und die Verhaltenscodes so unterschiedlich, dass es schwerfallen dürfte, allgemeingültige Regeln aufzustellen. Selbst der SMS-Code, der eine schonende Abwehr sein soll, muss als solcher vom Gegenüber verstanden werden. So manche verliebte Frau möchte vielleicht eher ein deutliches Wort an der richtigen Stelle hören als sich permanent des Codes vorgeblich schonender Phrasen erinnern zu müssen.


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veröffentlicht auf buchwurm.info, 2008
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