Vergnügliches Wiedersehen mit Sherlock Holmes

(Bachmann, Tobias und Prescher, Sören: Sherlock Holmes taucht ab (Meisterdetektive 2), Fabylon, 2012, ISBN: 3927071765)

Im London des Jahres 1890 werden ein halbes Dutzend Menschen mit Stichverletzungen und durchschnittener Kehle aufgefunden. Inspektor Lestrade ist ratlos, denn es ist keine Verbindung zwischen den Mordopfern zu finden. Deshalb bittet er Sherlock Holmes um Hilfe bei der Aufklärung des Falles. Als Holmes für ein paar Tage "abtaucht" und Dr. Watson bei der Obduktion des letzten Opfers eine merkwürdige Deformation der Lunge sowie eine eigentümliche "Hautkrankheit" feststellt, macht dieser sich allein auf die Suche nach mehr Informationen, nach einem Professor Summers und nicht zuletzt nach Holmes. Mehr und mehr Indizien lenken das Geschehen nun aus dem viktorianischen London hin zu dem fantastischen Moment in dem Sherlock Holmes und Dr. Watson dann sogar wortwörtlich abtauchen - und zwar in einem Unterseeboot auf einer abenteuerlichen Fahrt nach Atlantis, wo sie helfen müssen, eine Schmugglerbande davon abzuhalten, ein wertvolles atlantisches Mineral nach London auszuführen. Nachdem Holmes die ersten Beteiligten in Atlantis dingfest gemacht hat und sich die Schlinge um die Schmugglerbande immer enger zusammenzieht, verlagert sich das Geschehen wieder zurück nach London, wo Sherlock Holmes die Geschichte schließlich zu einem befriedigenden Ende bringt. 

Schon einmal hatte der weltbekannte Detektiv des englischen Schriftstellers Sir Arthur Conan-Doyle (1859-1930) mit einem Unterseeboot zu tun, als er in "The Adventure of the Bruce-Partington Plans" gestohlene Baupläne für ein U-Boot wiederbeschaffen muss. Wo jedoch Conan-Doyles gedankliche Reise im Jahr 1912 aufhörte, schließen die beiden Autoren Bachmann und Prescher 2012 an. Sie versetzen den Meisterdetektiv mitten hinein in ein solches Beförderungsmittel und damit in die technisierte Welt des sagenumwobenen Atlantis. Mag dieser wenig traditionelle Ausflug zunächst nicht nach einem typischen Sherlock Holmes Abenteuer klingen, so müssen seine Fans dennoch keine Befürchtungen dahingehend hegen, dass ihrem Idol Gewalt angetan worden wäre. Im Gegenteil die Autoren scheinen selbst wahre Kenner zu sein, denn sie treffen in Ton und Stil die ursprünglichen Geschichten ausgesprochen gut. Dass sie Doyle gelesen haben, beweisen sie unaufdringlich und subtil, wenn sie in Nebensätzen beiläufig die Originalgeschichten zitieren; beispielsweise als Dr. Watson davon träumt, dass seine Frau Mary ihm von merkwürdgen Perlen erzählte, die sie seit eingen Jahren zu jedem Geburstag geschickt bekommen hatte ("The Sign of the Four", 1890).

Die Autoren nutzen auch über solche Anspielungen hinaus typische Elemente der Doyle'schen Kurzgeschichten. Wie im Original nimmt Dr. Watson als bewundernder Freund des großen Detektivs und als mitfühlender Mensch die Leser erzählend an die Hand, um sie durch das Geschehen zu führen. Er zeigt sich lange nicht so begeistert darüber, Tatorte oder Leichen zu untersuchen, wie Sherlock Holmes, der in einem Kriminalfall nur das Vergnügen der intellektuellen Herausforderung und keine Opfer oder Schäden sieht. Die fantastischen Elemente schleichen sich erst nach und nach über Indizien in den Text ein, so dass die Reise nach Atlantis nur folgerichtig und nicht krude erscheint. Dort angekommen bleiben sich die Charaktere weiterhin treu. Watson empfindet neben offensichtlichem Heimweh nach London und seiner Frau Bewunderung und Begeisterung für den Unterwasserstaat, während Holmes zwar interessiert ist, sich aber dennoch ganz auf die Lösung des Falles konzentriert. Außerdem ist Holmes die Anwesenheit der weiblichen atlantischen Detektive lästig. Er bleibt misstrauisch, während Watson mit den Frauen gut zurechtkommt und sich wie üblich wundert, wie unempfänglich Holmes für weibliche Reize ist. Die Charaktere sind also hervorragend getroffen.

Darüber hinaus ist der Doktor über lange Strecken des Buches hungrig und müde. Sein durch Holmes' unermüdliche Jagd häufig vereitelter Wunsch nach einer guten Mahlzeit wird zum Running Gag und lässt Watson gleichzeitig sehr viel menschlicher erscheinen, als die Denkmaschine Holmes, der während der Arbeit an einem Fall kaum Schlaf oder Nahrung nötig hat. Auch bei den knappen Dialogen zwingt ein leiser unaufdringlicher Witz den Leser immer wieder zum Schmunzeln - wenn z. B. Watson sich schließlich von Atlantis fasziniert bei Holmes für seine Betäubung und die Zwangsmitnahme im U-Boot bedankt und dieser ihm antwortet: "Es war mir, wie stets, ein Vergnügen, Watson." 

"Sherlock Holmes taucht ab" ist daher eine respektvolle Verneigung vor dem Doyle'schen Original, an dem man auch als konservativer Sherlockianer von der ersten bis zur letzten Seite Vergnügen hat. Die fantasievollen Illustrationen von Peter Wall bereichern das Werk zusätzlich. Auffällig ist auch die gute Verarbeitung des Taschenbuches. Der Umschlag ist stabil, das Papier dick und griffig. Selbst nach mehrmaligem Lesen haben sich keine Seiten gelöst. Daher wird der Leser an diesem Buch aus dem kleinen Fabylon Verlag auch nach Jahren noch Freude haben.


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veröffentlicht auf buchwurm.info, 2013
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