Vom Kampf um eine bessere Welt

(Mtawa, Nicole: Sonnenkinder. Mein Leben für die Armen in Indien, Knaur, 2011, ISBN: 3426784513)

Die junge Nicole macht Abitur und beginnt, nachdem ihr Wunsch nach einer Hebammenausbildung nicht in Erfüllung geht, mit einem Studium. Alles scheint darauf zu hinzudeuten, dass sie den unspektakulären Lebensweg einer Frau aus gutbürgerlichem Haus gehen wird. Ein "Work and Travel"-Aufenthalt führt sie jedoch nach Australien, wo ihr Fernweh geweckt wird. Sie erkennt, "dass es nicht viel braucht, um die Welt zu bereisen und dabei jeden Tag neue wertvolle Erfahrungen zu machen." Nach ihrer Rückkehr sucht sie schnell die nächste Möglichkeit, wieder aus dem behüteten Leben in Deutschland auszubrechen. Sie fliegt zu einem Praxissemester nach Tansania und stellt fest, wie freundlich man dort aufgenommen wird, wie schnell man mit den Menschen in Kontakt kommt und mit wie wenig Mitteln man ein ganzes Leben in einem armen Land wie diesem verändern kann. In ihr wächst der Wunsch, ihr Leben mit den Menschen eines solchen Landes verbringen zu können. Noch während ihres Aufenthaltes in Tansania wird ihr Interesse an Indien geweckt, weil ihr dort das Leben der Armen als noch härter beschrieben wird.

Wieder gelingt es ihr, ihr Studium durch ein Praktikum mit ihren sozialen Interessen zu verbinden. Sie fliegt nach Indien und landet zufällig in einem Aschram, in dem auch behinderte Kinder betreut werden. Dort lernt sie den bis auf die Knochen abgemagerten Ganesh kennen, dessen bedauernswerter Zustand sie dazu bringt, all ihre verfügbare Zeit, Kraft und Mittel dafür einzusetzen, dass dieser Junge seinem bereits prognostizierten Tod entrinnt. Als es ihm wieder besser geht und das Datum ihrer Abreise immer näher rückt, gelingt es ihr schließlich sogar, für Ganesh und einen weiteren Jungen, der ihr sehr ans Herz gewachsen ist, Plätze in sozialen Projekten zu finden, die sich speziell um behinderte Kinder kümmern, so dass sie nach fünf Monaten mit einem guten Gefühl abreisen kann. In Indien wird ihr jedoch klar, dass sie ihr Leben solchen Kindern widmen möchte, um die sich sonst niemand auf der Welt kümmert.

Die Zeit ihrer Diplomarbeit führt sie zurück nach Tansania. Wie sie dort ihren späteren Ehemann kennenlernt und sich den Nöten der Straßenkinder annimmt, schildert sie in ihrem ersten Buch "Sternendiebe" (2009), das sie beim Verlag Droemer Knaur unterbringen kann. Ihre Dankbarkeit für diese Entscheidung und die Möglichkeiten, die der Verlag ihr damit eröffnet, kommt in "Sonnenkinder" ganz deutlich zu Ausdruck. Sie erhält so viel Aufmerksamkeit durch die Medien und Zuspruch durch Leser, dass sie sich schließlich ermutigt fühlt, den gemeinnützigen Verein "Human Dreams e. V." zu gründen, mit dem sie ihr lang erträumtes Projekt, ein Heim für voll pflegebedürftige Kinder in Indien zu errichten, auf einen finanziellen Grundstock stellen und sofort daran gehen kann, es in die Tat umsetzen.

In "Sonnenkinder" erzählt sie außer der langen Vorgeschichte, die ihre Motivation deutlich werden lässt und dem Leser den größten Respekt vor dieser junge Frau einflößt, nun den ebenfalls nicht ganz einfachen Weg, ein Haus zu finden und nach den Bedürfnissen einer Pflegeeinrichtung auszustatten, die Erlaubnis zum Betrieb zu erhalten sowie geeignetes Personal zu finden, das ihren Idealismus teilt und sich wie sie selbst über alle Maßen engagiert. Kinder, die ihrer Hilfe bedürfen, finden sich dagegen vergleichsweise schnell. Einige von ihnen kann man auf den Farbfotos in der Mitte des Buches sehen.

"Sonnenkinder" ist das ohne Dramatik flüssig erzählte und deswegen nur umso ergreifendere Zeugnis einer Frau, die ihr Leben in den Dienst für eine gute Sache stellt. Da hätte es des Untertitels nicht bedurft, denn sie gibt zwar nicht ihr ganzes Leben für die Armen in Indien, aber sie setzt einen beträchtlichen Teil ihrer Kraft und ihres Engagements dafür ein.

Während sich der Normalbürger mit Anfang dreißig bereits ein bequemes Leben in vier Wänden mit allen nötigen Versicherungen einrichtet, wandelt sie seit Jahren zwischen den Kontinenten und steckt alles verdiente Geld in ihre Projekte und eine bescheidene Zukunft in Tansania. Immer wieder findet sie Mitstreiter und motiviert ihre Umgebung, sich ihrem Feldzug für diejenigen anzuschließen, denen niemand sonst hilft. Sie macht dem Leser deutlich, wie gut es uns in Westeuropa geht und mit wie wenig finanziellen Mitteln in anderen Ländern bereits großartige Projekte auf die Beine gestellt werden können. Ohne direkt für etwas zu werben, stärkt sie damit das Bewusstsein dafür, dass tatsächlich eine kleine Spende, die einem Normalverdiener in Deutschland kein Loch ins Portemonnaie reißt, für ein Projekt in einem Entwicklungsland immer sinnvoll ist.

Man kann ihr nur wünschen, dass sie mit ihrer Offenheit und der nicht ganz ungefährlichen Bereitschaft, sich vorurteilsfrei auf das Schicksal anderer einzulassen, weiterhin so glücklich im Leben fährt und auch ihre Pläne hinsichtlich der Kinder bettelnder Frauen in Tansania in Zukunft verwirklichen kann. Wir brauchen Menschen, die uns ein bisschen Hoffnung dahingehend schenken, dass diese Welt nicht so egoistisch und kalt ist, wie sie im Alltag häufig wirkt. Daher ist dieser Erfahrungsbericht absolut lesenswert.


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veröffentlicht auf buchwurm.info, 2012
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