Die gleißende Sommersonne sengte vom Himmel herab auf den Strand. Deshalb trug Julia vorsichtshalber ein wenig mehr Sonnencreme auf. Sie hatte keine Lust, in ein paar Stunden wie ein gekochter Hummer auszusehen. Doch der korpulente ältere Herr neben ihr übertrieb seine Vorsicht nun wirklich! Er saß auf einem Strandtuch, war jedoch in einen dicken roten Mantel gehüllt, unter dem zu allem Überfluss auch noch schwarzglänzende Stiefel hervorlugten.
„Ist ja kein Wunder!“, dachte sich Julia und beobachtete verstohlen, wie der Dicke seine Kapuze zurückschlug und sich mit einem Tuch über die schweißglänzende Stirn wischte. „Eisberg und Schneesturm!“, hörte sie ihn missmutig fluchen. „So habe ich mir mein Leben als Rentner nicht vorgestellt.“ Ein Gruppe übermütig lachender Jungen lief auf das Wasser zu. „Eh, Opa!“ rief einer von ihnen höhnisch im Vorbeilaufen, „Kannste dir nich noch mehr anziehn!?“ Der bemäntelte Alte grummelte etwas in seinen weißen Bart, das sich anhörte wie: „In diesem Jahr ist dir Rute sicher, Freundchen.“ Plötzlich schüttelte er jedoch traurig sein schlohweißes Haar und murmelte dann bedauernd: „Stimmt, ja. Ohne Weihnachtsmann kein Weihnachten.“ Julia glaubte, falsch gehört zu haben. Sie drehte sich auf die Seite, um sich den Mann genauer anzusehen. Na, klar! Nur, weil man im Sommer an alles andere als an Weihnachten dachte, hatte sie ihn nicht sofort erkannt. „Weihnachtsmann!“, flüsterte sie daher und rückte ein Stückchen näher. „Das geht aber nicht. Du kannst nicht in Rente gehen, wenn du keinen Nachfolger hast.“ Sie stand auf, um ihm aus dem Mantel zu helfen. Doch auch ohne diesen sah der Alte in seinem Aufzug völlig fehl am Platz aus. Julia musste ein Lachen hinunter schlucken. „Wer will schon Weihnachtsmann werden?“ sagte er schließlich und sah das Mädchen fragend an. „Als die Bewerber erfuhren, dass der Beruf mehr bedeute, als einen Tag Arbeit im Jahr, sind sie ganz schnell gegangen. Also habe ich das Weihnachtsmannhaus einfach geschlossen.“ Auch Julia wunderte sich, warum das Weihnachtsmanndasein so arbeitsreich sei. Daher erklärte ihr die warm angezogene Strandbekanntschaft nun, dass der Weihnachtsmann das ganze Jahr über die Spielzeugproduktion überwachen und oft auch selbst mit Hand anlegen müsse. Er sei für die Haltung der Rentiere verantwortlich, kümmere sich um seine zahlreichen Wichtel und müsse außerdem gelegentlich durch die Welt ziehen um nachzusehen, ob die Menschen und besonders die Kinder das ganze Jahr über brav seien. Kurz und gut: Weihnachtsmann sei ein Job für 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr. Und davon wäre der 24. Dezember der schwerste Tag. Da müsse alles gut organisiert sein, damit jeder pünktlich seine Geschenke erhalten könne. So hatte Julia das noch nie gesehen. Sie bekam plötzlich eine Ahnung davon, wie schwierig es war, ein guter Weihnachtsmann zu sein. Und genau aus diesem Grunde war ihr sofort klar, dass nur der bisherige Weihnachtsmann diese Aufgabe ausführen konnte. Er musste es sogar tun, denn sonst würde es nie mehr ein Weihnachtsfest geben. Deshalb begann sie vorsichtig: „Sag mal, äh, Ex-Weihnachtsmann, so richtig glücklich siehst du aber als Rentner nicht aus.“ Der Alte nickte bedächtig. „Ein halbes Jahr lang versuche ich nun schon, meine Zeit mit Dingen auszufüllen, von denen ich dachte, sie würden mir Spaß machen. Aber irgendwie... naja, es ist nett hier am Strand. Doch ich mag das Schwimmen gar nicht. Und ohne meinen roten Mantel fühle ich mich einfach nicht wohl.“ Er strich liebevoll den gefalteten Mantel glatt, den er über seine Knie gelegt hatte, um ihn nicht schmutzig werden zu lassen. „Könnte es sein, dass du lieber wieder arbeiten würdest?“, fragte Julia. Sie war sich sicher, dass ein Weihnachtsmann, der seine Arbeit satt hatte, nicht so traurig aussehen würde. Als hätte dieser gerade eben zum ersten Mal darüber nachgedacht, sprang er plötzlich freudig auf und rief: „Ja, du hast recht!“ Von den umliegenden Decken und Badetüchern erhoben sich erstaunte Gesichter. Doch hitzemüde sanken sie schnell wieder zurück. „Wenn ich jetzt anfange, und sich alle Wichtel sehr beeilen, dann holen wir die Arbeit noch rechtzeitig nach. Er griff Julia ungestüm bei den Schultern und drückte ihr einen dicken Schmatz auf die sonnenerwärmte Stirn. Dann eilte er, sich hastig seinen Mantel überwerfend, davon. Kurz darauf schallte Glöckchenklang durch die Luft, als ob der Weihnachtsmann übers Land zöge. Die Badenden wunderten sich ein wenig, doch schoben sie diese Halluzination auf die sommerliche Hitze. Nur Julia sprang ohne Verwunderung ins Wasser, um endlich eine Runde zu schwimmen. |
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Der OderlandSpiegel. Dezember 2004 |
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