Backe, backe Sauerteigbrot
oder
Erotisches aus der Backstube

(Lynch, Sarah-Kate: Die Traumbäckerin, Bastei - Lübbe, Bergisch Gladbach, 2006, S. 381)

Eine deutsche Erstveröffentlichung im Taschenbuchformat sollte den geneigten Leser bereits stutzig machen. Dachte sich der Verlag, dass es sich nicht lohne, ein „richtiges“ Buch für den deutschen Markt aus der immerhin recht romantischen Idee einer Geschichte á la „Chocolat“ über Liebe und sexuelle Erweckung mit einem potenten französischen Bäckerburschen und einem unerfahrenen englischen Mädchen zu machen? Der Leser wird diese Überlegung nachvollziehen können, wenn er sich durch die knapp 400 Seiten gekämpft hat, denn die ganze Zeit wünscht man sich, es wäre keine in den Details so Klischee beladene Schnulze, sondern eine aufrichtige Geschichte um die einzig wahre Liebe, die erst erkannt wird, wenn es schon fast zu spät ist.

Während eines Frankreichurlaubs lernt die neunzehnjährige Esme des Nachts in Louis’ Boulangerie nicht nur zwischenmenschliche Leidenschaft sondern auch das Backen von Sauerteigbrot kennen. Diesen Teil ihrer Lebensgeschichte erfährt man bis zur Hälfte des Romans in Rückblenden, und auch die Tatsache, dass der Urlaub verfrüht abgebrochen wurde, weil Esme sich als Affaire eines verheirateten Burschen mit schwangerer Frau und zwei weiteren Kindern herausstellte. Fünf Jahre später ist sie verheiratet, hat einen guten Job verloren und ist mit Mann und Sohn in einen Wasserturm namens „Haus in den Wolken“ gezogen – „ein verrücktes Haus mitten im Nirgendwo, das von Menschen nur so wimmelt, und das Ganze wunderbar ergänzt von einer gestörten Ziege, einer Schar durchgeknallter Hühner und ein paar äußerst reizbarer Bienen.“

Kann man hier teilweise von einem originellen Einfall sprechen, wird das durch die allein erziehende beste Freundin, welche die Stadt nicht einmal für Besuche verlassen will, dem besten Freund Charlie, der obligatorisch homosexuell sein muss, da man heute in einer hippen Geschichte zwangsläufig einen schwulen besten Freund braucht, um als Großstadtpflanze gelten zu können, sowie der typischen abgrundtief bösen, aber am Schluss als bemitleidenswertes Würstchen da stehenden Erzfeindin Jemima wieder wett gemacht.

Das Problem in dieser heiteren Geschichte – denn tragische Momente sind so oberflächlich dargestellt, dass ein Mitleiden gar nicht erst möglich wird - ist nun folgendes: Esme, die seit ihrer Rückkehr aus Frankreich Sauerteigbrot backt, welches ob seinen hervorragenden Geschmacks und seiner Konsistenz von allen geliebt wird, hatte plötzlich mit dem Backen aufgehört. Erst zum Ende des Romans erfährt der geduldige Leser gar nicht mehr überrascht, was der Grund dafür war. Zu Beginn der Geschichte, hat sie sich gerade wieder soweit gefangen, dass sie auf den Rat ihrer Großmutter Granny Mac hören und wieder Brot backen kann.

Nach dem Tod ihrer Mutter ist Esme bei Granny Mac aufgewachsen und hat eine ganz besondere Beziehung zu ihr entwickelt. Die Großmutter ist zwar bereits tot und nur sehr lebhaft in Esmes Einbildung vorhanden (was man als Leser auch schon vor Seite 155 erahnt), aber sie ist so liebevoll verrückt sowie mit einem großen Herzen gezeichnet, dass man sie einfach gern haben muss. So wird beispielsweise erwähnt, dass Granny Mac sehr altmodisch war. „Sie besaß sieben Stück [Handtaschen], alle aus hundert Prozent Vinyl in unterschiedlichen Farbtönen, aber exakt im gleichen Stil, und genau wie die Queen verließ sie nie das Haus, ohne sich eine davon über den Unterarm zu hängen.“ Wenn das nicht Englisch ist!

Mit dem Backen kehrt das Leben in Esme, die bis dahin unfähig war zu trauern oder ihre Lebenssituation zu überdenken, zurück. Sie findet sich permanent in „was wäre wenn“ - Grübeleien wieder. Spätestens ab einem scheinbar unverhofften Wiedersehen mit Louis steht ihr gesamtes Leben auf dem Prüfstand, was sie sich jedoch nicht eingesteht. Anhand von Charlies unstetem Leben als freiwilliger Single, Alices ständiges Suchen nach dem Richtigen und Gesprächen mit Granny Mac werden die verschiedenen Lebens- und Beziehungsmöglichkeiten abgearbeitet, kommen jedoch für die im Grunde glücklich, mit einem Mann wie er liebe- und verständnisvoller gar nicht sein könnte, verheiratete Esme nicht in Frage. ... und eigentlich hat sie mit Louis bereits abgeschlossen. Das einzige, was Esme noch mit dem Bäcker verbindet, ist die romantische Vorstellung davon, dass sie durch den Teig, den sie damals von ihm erhalten und über die fünf vergangenen Jahre weiter genährt und verarbeitet hat, immer noch mit ihm verbunden ist.

Da auch der Schluss des Buches kaum überrascht, darf ruhig verraten werden, dass sich das vermeintliche Schicksal der Wiederbegegnung als eingefädelt herausstellt und, dass Louis sich erneut als unehrlich entpuppt. Die Traumbäckerin erkennt nach einigen Verwirrungen, dass sie ihrem Mann inzwischen in größerer Liebe verbunden ist, als sie angenommen hatte. Zwischen den ganzen Klischees von Manolo Blahnik – Schuhen (Pumps natürlich, was sonst!), Agnes B. - Kostümen, Philippe Starck – Design, Birkin - Handtaschen sowie den scharfzüngig-trendigen Zeitungskolumnen Jemimas, ist es letztlich doch noch ein wenig überraschend und ebenso wohltuend, dass sich nicht alles in diesem Roman in Wohlgefallen auflöst und am Schluss ein Quäntchen „Tragödie“ mit „gerechter Strafe“ zu erblicken ist.

Doch dieses Ende wird durch ein überflüssiges klärendes Gespräch mit Charlie hinausgezögert, wobei sich jeder bereits denken kann, dass er es keinesfalls schlecht mit seiner Heterofreundin gemeint hat. Auch die Szene mit einer gescheiterten Jemima ist nicht wesentlich für den Plot. Warum konnte Lynch der Figur ihren Erfolg nicht gönnen? Am Eindruck, den der Leser von Esme erhalten hat, hätte auch diese etwas einseitige Versöhnungsszene nichts geändert. In diesem Moment ist dem Leser ohnehin seit vielen Seiten klar, dass die Hauptfigur viel zu gut für diese Welt ist.

Was man dem Roman folglich ankreiden kann ist nicht, die bei „Chocolat“ abgekupferte Leidenschaft, die sich im Schöpfungsakt (immerhin eines Laibes! Brot) offenbart und auch als Liebesszene sehr ästhetisch geschildert wird, sondern das stete Zurückgreifen auf bekannte Erfolgsmuster, die das Originelle der Geschichte beständig unterwandern und den Leser regelrecht zu ärgern vermögen. Zu diesen Ärgernissen zählt ebenso die Verwendung (möglicherweise auch die Existenz) der neuen deutschen Rechtschreibung, die aus einer altmodischen Liebesgeschichte voller Romantik und Leidenschaft mit ihrem dumpfen „er/ sie/ es backte“ eine phonetische Erbrechenssituation macht. Wie viel romantischer klänge hingegen „er buk“!

Als positiv fällt da gerade noch das letzte Kapitel über die Herstellung von Sauerteig ins Auge. Dass die bloße Zubereitung eines Brotes ganze Vormittage in Anspruch nehmen und dabei unglaublich erotisch erscheinen kann, hat der Leser bis zu dieser Stelle bereits mehrmals gelesen. Trotzdem ahnt man erst nach der Schilderung der aufwendigen Herstellung des Teigansatzes, wie viel Herzblut in so einem Brot tatsächlich steckt.

Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass Leidenschaft für den Moment, die Liebe aber fürs ganze Leben gemacht ist. Etwas mehr nüchterne Ernsthaftigkeit statt konstruierter lustiger Momente, etwas mehr magischer Realismus statt einer „toten“ Granny Mac sowie ein Ehemann, der in seiner Existenz etwas aktiver und von größerem Belang sein müsste, hätten dem Roman, der sich bis auf „das Wort mit ‚b’“ (s. o.) ziemlich flüssig und trotz seiner Seitenzahl beachtlich schnell lesen lässt, gut getan. Wenigstens muss man für eine Ausgabe des Anspruch heuchelnden Romans als Taschenbuch nicht so tief in dieselben greifen.

Mit einem Wort: nett.


veröffentlicht auf buchwurm.info, 2006 veröffentlicht auf ciao.com, 2006
Copyright © 2006 Corinna Hein