Keine Tricks (Munro, Alice: "Tricks", S. Fischer Verlag, 2006, S. 379) Eine Frau verlässt ihren Mann, entflieht einer scheinbar völlig unglücklichen Ehe, um am Ende den entscheidenden Schritt doch nicht zu tun. Bereits nach dieser ersten von acht Kurzgeschichten möchte man Alice Munros Buch entnervt zur Seite legen. Bis eben war noch alles klar und nun kehrt sie plötzlich zu ihrem Ehemann zurück. Hat die helfende Nachbarin so selbstlos gehandelt, wie sie vorgab? Und was hat eine Ziege mit all dem zu tun? |
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Mehr Fragen, als Antworten - Genau aus diesem Grund legt man das Buch dann doch nicht zur Seite. Im Gegenteil: Die Kurzgeschichten der kanadischen Bestsellerautorin sind gerade deshalb so überragend gut (Seit Jahren wird sie als heiße Kandidatin für den Literaturnobelpreis gehandelt!), weil sie dem Wesenskern der von ihr portraitierten Frauen näher kommt als die meisten anderen zeitgenössischen Autoren. Munro bleibt nicht an einer schnell skizzierten Oberfläche sondern dringt in den Grenzbereich vor, wo Realität, Wunschdenken und Lebenslügen nah bei einander liegen. Und genau mit dieser Taktik wird verhindert, dass sich der Leser durch das bloße Zuschlagen des Buches von den Figuren lösen kann: Ihre Geschichten werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten, und klingen somit noch lange nach. Sie fordert dazu heraus, dass man sich mit ihnen auseinandersetzt und dabei möglicherweise auch sein eigenes Leben reflektiert. 1931 geboren hat Alice Munro selbst bereits die 70 überschritten. Solchermaßen kann sie eindrucksvoll und glaubhaft auch die späten Jahre ihrer Figuren schildern. Niemals sind es Frauen oder Männer, deren Leben besonders unglücklich verlaufen wäre. Doch immer gibt es in deren jungen Jahren einen Moment, in dem das Leben eine völlig andere Wendung genommen haben könnte – eine Wende hin zu mehr Liebe wie in der Geschichte „Tricks“, nach welcher der Prosa-Band benannt wurde, eine Wende hin zu mehr Eigenständigkeit wie in „Ausreißer“ oder zu mehr Leidenschaft wie in der gleichnamigen Kurzgeschichte. Gleichzeitig entwirft Munro in ihren Geschichten ein eindrucksvolles Bild der kanadischen Provinz mit ihrer landschaftlichen Schönheit und gesellschaftlichen Enge, wie man sie aus amerikanischen Filmen der 50er/ 60er Jahre kennt, in denen Frauen existieren, um irgendwann geheiratet zu werden, oder sich wenigstens aufopfernd sozialen Belangen zu widmen. Das Wissenschaftszeitalter ist noch nicht so präsent, dass man Wahrsagungen oder spirituelle Phänomene wie in „Tessa“ nicht ganz selbstverständlich als Teil des Lebens akzeptieren könnte. Ihre Frauen sind oft Außenseiter, gebildet aber in ihrer intellektuellen Reife verkannt. Sie sehnen sich nach Liebe und eine wenig Abenteuer, fügen sich jedoch immer dem Lauf des Lebens, selbst dann wenn gelegentlich Eigensinn aufflackert und der Leser bereits denkt, dass sie nun im Sinne von Selbstbestimmung aktiv werden oder ihm wenigstens eine plausible Erklärung für ihr Handeln bieten würden. Am ehesten kann man sich der Figur Robin aus der Kurzgeschichte „Tricks“ nähern. Der Titel führt hierbei auf eine völlig falsche Spur, denn die Hoffnung auf eine romantisch initiierte, leidenschaftliche Beziehung (eventuell auch auf eine spätere Heirat) wird weniger von einem Trick, denn von Robins mangelndem Selbstwertgefühl und dem Mangel an energischem Auftreten zunichte gemacht. Man bekommt den Eindruck, dass die Figuren ihrem Glück immer selbst im Weg stehen. In Robins Fall empfinden romantisch veranlagte Herzen mindestens ebenso viel Trauer, wie die Figur selbst. Doch wenn Munros Protagonisten ihre Fehler erkennen, sind sie bereits so abgeklärt, dass sie ungenutzten Chancen nicht mehr hinterher weinen, sondern ihr Leben als unter diesen Umständen bestmöglich gelebtes akzeptieren: »Gewiss hatte sie sich in einer anderen Welt befunden. Ähnlich einer Welt, wie sie auf der Bühne herbeigezaubert wird. […] Wenn man in solchen Fällen nur einen Zollbreit vom Wege abweicht, ist man verloren. […] Wenn sie in dieser Hinsicht versagt hat, dann in der Geschichte mit dem grünen Kleid. Wegen der Frau in der Reinigung, deren Kind krank war, trug sie das falsche grüne Kleid.« Angesichts dieser subtilen Konstruktionen und der erzählerischen Meisterschaft Munros versteht man, warum sie für diese Sammlung von Kurzgeschichten mit dem in der angelsächsischen Welt renommierten Giller Prize, den sie neben dem nicht weniger wichtigen Books Critics Circle Award bereits zum ersten Mal für „Die Liebe einer Frau“ erhielt, ausgezeichnet wurde. Neben dem 2006 bei Fischer erschienen Band „Tricks“ wurden in den Vorjahren bereits die Sammlungen „Die Liebe einer Frau“, „Der Traum meiner Mutter“ und „Himmel und Hölle“ in deutscher Übersetzung veröffentlicht. Auch in diesen Geschichten führt sie den Leser über das Alltägliche und Banale hinaus in die geheimnisvollen und unerklärlichen Winkel der menschlichen Psyche. Unbedingt: Lesen! |
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