Als Ende November immer noch keine Weihnachtsdekoration in den Schaufenstern von Vilnius zu sehen war, befürchtete ich das Schlimmste für das kommende Fest und meine Weihnachtsstimmung. "Wo man doch als guter Verbraucher daran gewöhnt ist, dass ab September Weihnachten ist...", maulte ich, und ärgerte mich darüber, dass ich bis zum Fest im kalten Litauen ausharren mußte. Im Oderturm hatte man bestimmt schon weihnachtlich dekoriert und verkaufte kandierte Äpfel und Schokobananen. Bei diesem Gedanken lief mir das Wasser im Mund zusammen und meine Augen weiteten sich sehnsüchtig. Je näher der erste Dezember rückte, desto mehr solcher sehnsüchtiger Gesichter sah man in unserem Studentenwohnheim, und Geschichten um Weihnachten wurden beim Abendbrot in der Küche hervorgekramt. "Wir haben früher immer so kleine Dekorationen gebastelt.", meinte Bianca eines abends und hatte es nicht schwer, uns mit ihrer Begeisterung anzustecken. "Was sagt ihr?", fragte sie in die Runde, "Machen wir am Samstag um sieben eine Bastelstunde?" "Au, ja!", tönten wir geschlossen im Chor. Mit Pappe, Stiften, Scheren, Buntpapier, Alufolie und Goldpapier bewaffnet fanden wir uns dann am Samstag vor dem ersten Advent in der Wohnheimküche ein. Plötzlich schienen alle um zehn bis 15 Jahre verjüngt. Es wurde gescherzt und gelacht, gefalzt und geschnitten, geklebt und aufgehangen, bis nicht nur die Küche, sondern auch der Flur mit Weihnachtsmännern, Sternschnuppen, Schlitten, Glocken und Stiefeln in den schönsten Formen und Farben übersät waren. Und schon entwickelte sich die "Mission Weihnachten" weiter. "Laßt uns morgen zusammen Kaffe trinken und Stollen essen!", grinste Michaela verschmitzt. "Waaas?", kam es zurück, "Wo hast du denn einen Stollen her?" "Einen richtigen Stollen aus Dresden?" "Mensch, ist das genial!" Und so kam es, dass wir am Tag darauf wieder gemeinsam in der dekorierten Wohnheimküche saßen und den Stollen verputzten, den Michaela in weiser Voraussicht aus Deutschland mitgebracht hatte. Ein anderer steuerte ein paar Dominosteine bei. Wieder andere hatten Kekse besorgt. Ein Adventskranz fand sich im Supermarkt, denn ab Dezember konnte sich auch Litauen den Gesetzen des Konsums nicht länger verweigern. An diesem Nachmittag wurde die Idee für einen Glühweinabend am zweiten Advent geboren. Wer mit Hilfe von Dekoration und Stollen noch nicht mit dem sogenannten Weihnachtsfieber angesteckt war, wurde es an diesem Abend. Mit ein wenig warmen Alkohol im Blut hatte die deutsche Studentenfraktion die Spanier, Italiener, Litauer und alle anderen Nationen im Nu von deutschen Weihnachtstraditionen überzeugt und zum gemeinsamen singen von Weihnachtsliedern animiert. Als dann eine Woche später auf dem Vilniuser Kathedralenplatz ein Weihnachtsbaum aufgestellt wurde, fanden natürlich auch wir uns dort ein und ließen unsere Ah's und Oh's in den Winterhimmel steigen. Wer von uns hat in diesem Moment nicht noch eine weitere Woche voraus geblickt? Wer von uns sah sich nicht bereits im heimatlichen Wohnzimmer mit dem eigenen Weihnachtsbaum und seiner Familie? Wer von uns... "Komisch," murmelte ich leise in meinen Schal, "eigentlich bin ich gar kein Weihnachtsmensch.", und freute mich mehr denn je darauf, nach Hause zu fahren. |
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Der Oderland Spiegel, Dezember 2001 |
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