"Haben die sich etwa eingebildet, dass ich jemals an den Weihnachtsmann geglaubt hätte.", knurrte Markus wütend und warf die Zimmertür hinter sich zu. Max zuckte zusammen. "Ich weiß auch, dass es keinen Weihnachtsmann gibt.", schniefte er dann. Und Maria schimpfte: "Das ist so gemein, uns ausgerechnet heute zu sagen, dass es immer nur unser Nachbar war. Er sah wie echt aus. Ein Weihnachten ohne Weihnachtsmann ist kein richtiges Weihnachten." Darin waren sich die Kinder einig.

Also berieten sie, was sie tun könnten, um das Weihnachtsfest noch zu retten. Schließlich kam ausgerechnet Max, der Jüngste von ihnen, auf eine hervorragende Idee. Die Nachbarin wunderte sich zwar darüber, dass die Kinder am Heiligen Abend vor ihrer Tür standen und sie um das Weihnachtsmannkostüm baten. Doch Maria hatte sich bereits eine Ausrede zu recht gelegt: "Wir wollen Theater spielen." sagte sie schnell und bekam eine feuerrote Nasenspitze. Aber die freundliche Nachbarin schöpfte keinen Verdacht.

Inzwischen ging es auf 17 Uhr zu. "Gut", flüsterte Markus also und atmete tief durch. "Wir machen es wie besprochen: Ihr tut so, als ob ich der Weihnachtsmann wäre und singt mir ein Lied vor. Danach müssen unsere Eltern ein Gedicht aufsagen oder ein Lied singen. Heute sind sie auch mal dran. Sonst gibt es keine Geschenke." Die Kinder lachten. Markus hob den Mantel, der etwas zu lang für ihn war, an und huschte aus der Tür. Die beiden anderen warteten auf das verabredete Zeichen.

Es dauerte nur wenige Minuten, dann krachte laut die Haustür ins Schloss. Eine tiefe Stimme dröhnte: "Ho! Ho! Ho! Ich bin der Weihnachtsmann!" "Wow! Das klingt überzeugend!" jauchzte Maria bewundernd und polterte die Treppe hinunter, um die Wohnzimmertür zu öffnen. "Der Weihnachtsmann ist da!", rief sie und ihr Blick blieb am festlich glänzenden Weihnachtsbaum hängen.

Doch was war das? "Aua, die sind alle in der Stube." hörten sie plötzlich Markus’ Stimme im Flur wimmern. Wenig später tauchte ein weißbärtiger Mann, der in einen roten Mantel gehüllt war und Markus an dessen Ohr unsanft in die Wohnstube hinein zog, im Türrahmen auf. "Du solltest dir keinen Mantel anziehen, der dir nicht passt." dröhnte der Alte unter seinem Bart hervor. "Ich bin gespannt, wie du mich jetzt versöhnen willst, Bürschchen." Er ließ den Jungen los. "Wo ist das Kostüm?", raunte Maria Markus zu, der sich sein gerötetes Ohr reibend hinter ihr schob. "Das fand der irgendwie nicht so gut.", flüsterte der Junge. Die Eltern saßen immer noch starr vor Überraschung und schwiegen.

"Will denn niemand dem Weihnachtsmann ein Lied zur Begrüßung singen?!", fragte der Alte nun und ließ einen großen braunen Sack von seiner Schulter auf den Boden gleiten. Die Eltern blickten fragend auf ihre Kinder. Maria sah Markus an und der wiederum sah ratsuchend auf Max. Schließlich fasst der Jüngste sich ein Herz und begann: "Oh, Tannenbaum, oh, Tannenbaum…" Und weil niemand wusste, was anderes zu tun war, fielen einer nach dem anderen in das Lied ein. Der bärtigen Alte schmunzelte zufrieden.

Als sie geendet hatten, wandte er sich an Markus: "Nimm dein Weihnachtsmannkostüm zurück. Ich war vorhin sehr verärgert darüber, dass du dich für mich ausgeben wolltest. Aber ihr habt so schön gesungen, dass ich nicht länger böse sein kann. Leider muss ich nun gehen, denn ich habe noch einen weiten Weg vor mir in dieser Nacht. Euch allen ein schönes Weihnachtsfest!" Damit drehte er sich um und stapfte hinaus. Von der Haustür aus rief er noch einmal laut: "Falls ihr es nicht bemerkt habt. Eure Geschenke stehen bereits unter dem Weihnachtsbaum." Damit fiel die Tür ins Schloss.

Den Kinder schien es, als hätten sie das gerade geträumt und auch die Erwachsenen blickten auf die Wohnstubentür, als hätten sie einen Geist gesehen. Schließlich brach die Mutter das Schweigen. "Na, dann lasst uns noch ein Lied singen, bevor wir die Geschenke auspacken.", sagte sie, zog ein abgegriffenes Liederbuch aus dem Regal und schlug das Inhaltsverzeichnis auf. Aus einem Lied wurde ein gutes Dutzend und über das Singen, das anschließende Rascheln von Geschenkpapier sowie die freudigen "Ahs" und "Ohs" geriet der merkwürdige Gast in Vergessenheit. Doch als die Kinder in ihren Betten lagen, flüsterte Maria plötzlich: "Glaubt ihr, dass es unser Nachbar war?" "Quatsch!", antwortete Markus und flog mit der Taschenlampe über die ersten Zeilen seines neuen Buches, "Wenn unser Nachbar der Weihnachtsmann ist, dann fress’ ich einen Besen."


Märkischer Sonntag (Spezial), 20.12.2009, S. 7
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