Über die ersten Wessis aus dem Osten (Jana Hensel: Zonenkinder, Rowohlt, Reinbeck b. Hamburg, 2002, S. 172) Jana Hensels essayistische Erinnerungsprosa in 8 Kapiteln versucht unpolitisch-nostalgisch das „schöne warme Wir-Gefühl" der Vorwendejahre heraufzubeschwören und frohlockt über eine reibungslose kulturelle Anpassung der Jugendlichen aus der ehemaligen DDR an den Westen. |
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Mit dem literarischen Debüt Jana Hensels hält der Leser zugleich auch das erste Buch über das Lebensgefühl ostdeutscher Jugendlicher vor und nach dem Mauerfall in der Hand. Aus einer naiv-kindlichen Perspektive heraus schreibt sie fragmentarisch über den DDR-Alltag, so wie sie ihn erlebt haben mag; mit sozialistischer Erziehung, Mangelwirtschaft, Propaganda und Mauerfall. Obwohl nach Hensel Zonenkinder keine Kindheit besitzen, sondern das Vergangene für sie nur noch ein „Museum ohne Namen" ist, häufen sich detaillreiche Aufzählungsketten verbunden mit von Pathos triefenden aphorismenähnlichen Weisheiten und Plattitüden wie: „Man lernt Dinge erst dann zu schätzen, wenn sie verschwunden sind." oder „Wenige von uns sind in ihrer Kindheit an der Ostsee angekommen. Aber viele auf dem halben Weg dorthin irgendwo steckengeblieben, weshalb es mir manchmal so vorkommt, als seien wir all die Jahre zum Meer unterwegs gewesen." Ebenso auffällig sind auch die Klischees über verschiedene Nationalitäten und beständige Pauschalisierungen in einer als unproblematisch dargestellten Vergangenheit. Hensels Nostalgie wird in „Zonenkinder" dabei immer mit ihrer begrenzten Erfahrung der DDR legitimiert. Die Romantisierung der Kindheit in einem Unrechtsstaat wird im weiteren übertroffen von der nicht minder romantischen Pauschalisierung der Wesenszüge der Westdeutschen als Musterbeispiel an Stil und Abgeklärtheit. Getreu dem Motto des Werkes „Wir fanden uns ganz schön bedeutend", zeigt Hensel für wie bedeutend sie sich hält, in dem sie dem Leser ein penetrantes „Wir" aufdrängt, das um so penetranter wird, je mehr es in sich einschließt. Zeitweise umfaßt dieses „Wir" die 13jährigen der Wendezeit (Hensels eigene Generation also). Dann wieder schließt es die Elterngeneration mit ein und, wenn etwa die Friedensfahrt als „unser wichtigstes Ereignis" bezeichnet wird, dann beinhaltet das „Wir" ein ganzes Volk. Nicht nur in ihrer Beschreibung der Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart und Zukunft ignoriert Hensel damit unterschiedliche individuelle Konzepte von Identität. Man darf z.B. vermuten, daß Valentina Tereschkowa (die erste Frau im Weltraum) nicht jedermans Vorbild gewesen sein wird. Mit diesem „Wir" erlaubt sie sich denn auch stellvertretend für ihre Generation die gesamte Elterngeneration in ihrer Mentalität und ihrem Lebensstil herabzusetzen. In Kapitel 4 kann man einen ausführlichen Vergleich zwischen „Osteltern" und „Westeltern" lesen. Die Elterngeneration aus dem Osten schneidet dabei denkbar schlecht ab: Eine Generation von „kleinen Brüdern", denen man zur Seite stehen muß, wenn man sie auch insgeheim für peinliche Jammerlappen und Verlierer hält und nicht mit ihnen diskutieren kann, weil sie „zu alt und zu müde sind für diese Zeit". Auffällig an den „Zonenkindern" ist die im Gegensatz zu deren Eltern stehende Souveränität bei der Übernahme des westlichen Lebensstils („Wer wollte es uns verübeln, daß wir uns ihnen überlegen fühlen und glauben, die Dinge besser verstanden zu haben als sie?") bei gleichzeitigem kokettem Leiden am Verlust der Kindheit (der „Märchenzeit"), der eigenen Geschichte und der Heimat („Die Dinge hießen einfach nicht mehr danach, wie sie waren.") Dabei bleibt zu hinterfragen, ob Heimat so unlösbar mit einem politischen System verbunden ist, wie Hensel es dem Leser mit diesem Buch Glauben machen will. Fraglich ist auch, ob eine Aussage wie „Wir sind die ersten Wessis aus Ostdeutschland. Unsere Anpassung verlief erfolgreich." eher positiv zu betrachten ist; oder ob sie nicht vielmehr bedeutet, daß schon 13 Jahre DDR die in ihr geforderte Fähigkeit zur Uniformität, zum Unauffällig-sein und in-der-Masse-untergehen bereits umfassend vermittelt haben. Die ständige Betonung einer erfolgreichen Assimilation wirft die Frage auf, inwiefern die Autorin vom sozialistischen Alltag geprägt wurde und wie stark diese Prägung nach dem Fall der Mauer nachwirkt. Jana Hensels Debüt birgt reichlich Diskussionsstoff. Es ist nicht frei von Schwächen, aber erfüllt seine Erinnerungsfunktion, indem es Vergessenes zurück ins Bewußtsein bringt. Gut gelungen ist die Darstellung des kindlichen naiven Vertrauens und der Gläubigkeit, sowie die Darstellung der Fähigkeit der Generation „Zonenkinder" schnell von Ost auf West umzuschalten. Besonders lesenswert (eigentlich das Beste am ganzen Buch) ist der Anhang in Form einer Erklärung von Begriffen aus dem sozialistisch realistischen Alltag. Allen, die ob meiner wenig positiven Kritik nun zögern, sich eine eigene Meinung von diesem Buch zu bilden, sei zum Abschluß die Kurzkritik meiner Mutter kundgetan: „Liest sich schnell und ist teilweise ganz amüsant." |
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