Kurz vor Bundestagswahl geschieht es dann. Zum dritten Mal wird Berlin in Markus Stromiedels Kriminalroman „Zwillingsspiel“ von einem Terroranschlag heimgesucht. Sieben Menschen sterben auf dem S-Bahnhof Savigyplatz; darunter auch die Tochter von Kaskan, der seine letzten Kräfte mobilisiert, um sich mit Hilfe eines Gegenkandidaten an seinem früheren Arbeitgeber zu rächen, dessen Politik er für die fortwährenden Anschläge und den Tod seines Kindes verantwortlich macht.
Auf über 400 Seiten entwirft der Autor ein Bild Berlins und Deutschlands, in dem der Terrorismus wenn nicht allgegenwärtig, so jedoch eine feste Größe im politischen Geschehen ist. Sorgfältig wird abgewogen, wie sehr es den eigenen Interessen dient, aktiv zu werden oder still zu halten. Das Zwillingsspiel erweist sich demzufolge eher als Politzirkus, bei dem man im wahrsten Sinne des Wortes auch über Leichen geht, wenn sie gut ins Bild passen. Die interessanten Figuren eines libanesischen Paares, welches sich selbst innerhalb der Familie im Konflikt mit der Auslegung der islamischen Lehre befindet, ist leider zu wenig ausgearbeitet, um den Hintergrund des Romans etwas differenzierter auszuleuchten. So bleibt der Terror nur eine Folie, vor der sich die eigentliche politische Intrige und ein psychischer Machtkampf der Zwillinge abspielen.
Auf der einen Seite entspinnt sich so ein perfides Netz aus Intrigen, Bespitzelung und Täuschung, in welchem die Macht des Geldes und eine kritiklosen Presse von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind. Auf der anderen Seite versucht Kommissar Selig den Terroranschlag aufzuklären, wobei er dem Intrigenspiel unbewusst mehr und mehr Unterstützung leistet, je näher er der Wahrheit kommt.
Stromiedel, der sich bisher einen Namen als Journalist für die „Zeit“ oder mit Drehbüchern z.B. für „Tatort“ gemacht hat, fährt die klassischen Muster guter Kriminalliteratur auf. Verschiedene Handlungsstränge, die scheinbar zunächst nichts miteinander zu tun haben, werden unmerklich verwoben. In Ermangelung eines allwissenden Erzählers erhält der Leser seine Informationen nur über die handelnden Personen und damit einzelne Puzzleteile, welche ihm jedoch bei der Beantwortung der Fragen nicht helfen, sondern den ganzen Fall nur noch rätselhafter machen. Doch wo ist das verbindende Element, das allem einen Sinn gibt? Welches Puzzleteil ist von Belang? Leser und Kommissar wissen irgendwann nicht mehr, wem man noch trauen darf und was man glauben soll.
Wie Lisa sind die „Bösen“ bereit, alles zu tun, um Macht zu erlangen oder zu behalten. Skrupel kosten in diesem Spiel das Leben. Die „Guten“ schlagen sich zusätzlich zu ihrer schwierigen Ermittlungsarbeit mit unbewältigten inneren Konflikten herum. Ein menschlicher Lichtblick ist die Andeutung einer aufkeimenden Liebe zwischen Selig und seiner Kollegin Maria.
Konsequent wird die Geschichte bis zu Ende gesponnen. Alles klingt logisch und wahrscheinlich. An den Stellen, an denen das politische Spiel die Welt der „Normalbürger“ berührt – bei den Bombenattentaten zum Beispiel – fühlt man sich als Leser persönlich angesprochen. Dazu trägt nicht zuletzt die bildhafte Sprache des Autors bei. Die meisten Szenen jedoch kann man mit großer Distanz lesen und daher den Roman nach der letzten Seite unbetroffen zuschlagen. Die Figuren wachsen dem Leser nicht derart ans Herz, dass man wissen möchte, wie es mit ihnen weitergeht. Daher bleibt „Zwillingsspiel“ routiniert geschriebene Unterhaltung und könnte so auch samstagabends in der ARD laufen.
|